Der grobe Unfug des Begriffs "wertig"

Gewaltig polemisch formuliert und wissenschaftlich bedauerlicherweise erstaunlich unrecherchiert wie man es (auf diesem meinem, in einigen hier registrierten Fällen unserem, Terrain) wohl nur von Reuß und Konsorten kennt.

Daß der Duden nurmehr registriert, ohne wertend einzugreifen ist schlicht falsch; daß er dieser --nicht vorherrschende-- Zustand bedauerlich wäre, ist natürlich haltlos; Verstümmelungen nach Ihrem Wortgebrauch wären auch Bus, Profi, Akku und viele mehr; davon einmal abgesehen ist --rein linguistisch betrachtet-- die paradigmatische Katalogisierungsänderung von -wertig suf. zu wertig adj. sogar logisch und darüber hinaus erwartbar, kurzum: Dumm ist, die Machbarkeit dieser Sprachentwicklung zu leugnen.

Unabhängig hiervon soll natürlich jeder für sich selbst entscheiden, ob er Neueinbringungen in den Gemeinwortschatz akzeptiert oder nicht, nur: pseudowissenschaftliches dogmatisiern sollte dann unterbleiben.

Offenbar bin ich nicht der einzige Germanist auf weiter Flur....
Und - es ist erfreulich, dass nicht nur aus dem Bauch (glaub ich, fühl ich so,...) argumentiert wird.
Ein bisschen kommt mir einiges wie damals vor, als die Rechtschreibreform in Kraft trat. Die, die am lautesten schrien (Kann man auch mit zwei "e" schreiben, ich weiß..), hatten gar nicht so selten nicht einmal die alte Rechtschreibung im Griff. (Kosog'sches Diktat und so!)
Bei dem Thema muss ich immer an den mittlerweile verstorbenen Altkanzler (Österreich!) Sinowatz denken - und seinen legendären Ausspruch: "Es ist alles sehr kompliziert..."
Wie wahr!:D
LG
veltliner
 
Sprache einfacher, "handlicher" zu machen ist eine Entwicklung, die in jeder Sprache zu jeder Zeit geschieht.
Richtig. Interessant ist hierbei jedoch folgendes: "Ökonomisierung" von Sprachen kann nicht ein eine Richtung funktioniern. Wird die Grammatik beispielsweise vereinfacht, wie im Deutschen derzeit der Fall, leidet unter Umständen die semantische Transparenz; Lockert man die Wortstellungsregeln, muß die Anzahl an Flexemen zunehmen usf. Das ganze wird also stets nur einseitig ökonomisch. Insofern sollte man solche Entwicklungen weder allzu drastisch sehen, noch der Einbildung unterliegen, diese wären endgültig.
 
Vor einigen Wochen war ich -ob ihrer Lautstärke- gezwungen mir die Diskussion von zwei jungen Fräulein anzuhören, die schließlich mit dem entkräftenden Satz: "ich habe beide Meinungen" ein Ende fand. -Herrlich nicht wahr?

So geht es auch mir. Unter dem Einfluss einer stehst schneller voranschreitenden Globalisierung in der 140-Zeichen-Kommunikation einem handschriftlichen Brief grundsätzlich vorgezogen wird verformt sich die Sprache stark. Dies, so stimme ich zu ist ein natürlicher Prozess, einer, der der Sprache als Konzept ureigen ist, und wichtig für das Fortbestehen jeder einzelnen Sprache. Doch lange war dies ein Prozess von Schönheit, jenen vorbehalten die mit der Sprache umzugehen wussten, sie "in ihren Händen formten" -wie bereits Rilke und Rodin Ihre Arbeit verglichen, und nicht jenen die bloß darauf einschlugen.
 
Ich habe vor kurzem im Stilmagazin die inflationäre Verwendung des Wortes "geil" kritisiert. Keine Ahnung was die Germanisten über dieses heute beinahe allgemeingebräuchliche Wort denken, ich verbinde es ausschließlich mit Arschgeweih, Maurerdekolleté und BRUCE & BONGO, denen es auf den Leib geschneidert schien. Aber für Leute, die vorgeben Stilempfinden zu haben?

Wörter nicht zu mögen ist vollkommen in Ordnung, sie zu verteufeln ist eine andere Sache.
 
davon einmal abgesehen ist --rein linguistisch betrachtet-- die paradigmatische Katalogisierungsänderung von -wertig suf. zu wertig adj. sogar logisch und darüber hinaus erwartbar, kurzum: Dumm ist, die Machbarkeit dieser Sprachentwicklung zu leugnen./QUOTE]

Das ist überaus lustig! Hier (und in anderen Antworten) wird zu etwas argumentiert, das ich gar nicht gesagt habe. Merke: Wer (wissenschaftlich) zu dicht dran ist, verliert leicht den Überblick. Oder war's ein rhetorischer Kniff?

Es geht mir weder um die Tatsache, das sich Sprache permanent verändert - natürlich tut sie das, weshalb auch nicht? Dass sich Sprache durch Ökonomisierung abschleift, weiß ich auch als Nicht-Germanist.

Es geht auch nicht um etwas wie die neue Rechtschreibung. Ob einer Mayonaise schreibt oder Majonnäse ist mir persönlich völlig schnuppe. Beide Male weiß man, was gemeint ist.

(Einschub: Wenn man also überhaupt wissenschaftlich über die Debatte der Rechtschreibung sprechen will, dann eher á la Bourdieu oder Veblen. Dann wäre nämlich eher die Sprache als Distinktionsmerkmal zu betrachten. Nach dem Motto: Ich bin altsprachlich-humanistisch gebildet und spreche Französisch und manche andere Sprache. Und daher weiß ich, wie man Mayonaise schreibt.)

Das ist aber wiederum eine völlig andere Baustelle.

Mir geht es um Stil und Präzision.

Stil: Auf meinen Einwand, "wertig" sei schlechter Stil, zu antworten: "das Wort gebrauchen aber immer mehr und auch im Duden steht's" - das ist genauso, wie wenn man auf die Anmerkung, ein Croq-Schuh sei eine stilistische Entgleisung, zu antworten: "Aber er ist sehr bequem und es tragen ihn doch so viele."

Merke: Sprachveränderungen und Ökonomisierungen, die wissenschaftlich untersuchbar sind, treffen keine Aussagen über guten und schlechten Stil.

Allenfalls könnte man mir also antworten: "Ich finde 'wertig' ist guter Stil."

De Gustibus...

Präzision: Auch wenn der Duden es regisitrieren mag, ist "wertig" eben nonsense, weil es nicht präzise ist. Das "wertig" bedarf zwingend einer Vorsilbe, um klar zu machen, was gemeint ist.

Ein Äquivalent wäre: Wir treffen uns um ...Uhr. Da fehlt auch etwas zur genaueren Bestimmung.

Dass dennoch viele es verwenden, macht's nicht besser.

A.E.
 
Wenn man sich mit Sprache beruflich beschäftigt, muss man – wohl oder übel – feststellen, dass „Stil“ ein viel komplizierterer Begriff ist, als wir das aus dem Gymnasium mitbekommen haben.
Wer bestimmt, was stilistisch gut oder schlecht ist? Hatte Thomas Bernhard einen schlechten Stil? Er wiederholte sich doch dauernd! Oder Stefan George – guter Stil oder schwülstiges Gefasel? Es ist müßig das zu vertiefen.
Sicheren Boden unter den Füßen haben wir nur bei Aussagen darüber, ob etwas richtig oder falsch ist. Wenn es z.B. im Duden steht, ist es richtig. Ende der Diskussion. (Dass ich nicht mit jeder Entscheidung der Dudenredaktion einverstanden bin – aus guten Gründen nicht einverstanden bin – ist irrelevant. Meine Zustimmung zum ABGB ist schließlich auch nicht von Interesse!)

Alles andere fällt unter die Kategorie „gefällt mir“ oder „gefällt mir nicht“. Mir persönlich gefällt beispielsweise der Stil von Elfriede Jelinek nicht immer, vielleicht ist sie genau deswegen eine große Schriftstellerin. Weil sie es uns nicht leicht macht. Es muss nicht unbedingt gefällig sein.

Übrigens: Wenn „wertig“ von der Sprachgemeinschaft als Adjektiv empfunden wird, das auch ohne Präfix positiv verstanden wird, ist das ein Bedeutungswandel, der schlicht hinzunehmen ist. Schließlich verändern Wörter ihre Bedeutung recht häufig – vom Dilettanten angefangen – bis hin zum Idioten.

Wenn Sie, werter ARBITER ELEGANTIARUM, dieses Wort als nicht elegant empfinden, dann sei Ihnen das unbenommen. Ich bin da übrigens ganz bei Ihnen, in meinem Wortschatz taucht es auch nicht auf. Was aber nicht geht ist zu sagen, dass jemand einen schlechten Stil hat, wenn er sich dieses Adjektivs bedient.
Würden Sie als Deutschlehrer in einer Schularbeit in so einem Fall einen Fehler anzeichnen, müssten Sie wohl mit Problemen rechnen.

Bleiben wir doch bei:
Ich empfinde diesen Stil als schlecht.
Und nicht bei: Dieser Stil ist schlecht. (Das ließe sich viel eher bei Grammatikfehlern sagen, derer ich just eben beim Lesen Ihres Beitrags ansichtig wurde. Da wir aber hier im Forum wohl alle – mich eingeschlossen!!! – ziemlich schnell dahintippen, ist das wohl eine lässliche Sünde...;))

LG
veltliner
 
Zuletzt bearbeitet:
davon einmal abgesehen ist --rein linguistisch betrachtet-- die paradigmatische Katalogisierungsänderung von -wertig suf. zu wertig adj. sogar logisch und darüber hinaus erwartbar, kurzum: Dumm ist, die Machbarkeit dieser Sprachentwicklung zu leugnen./QUOTE]

Das ist überaus lustig! Hier (und in anderen Antworten) wird zu etwas argumentiert, das ich gar nicht gesagt habe.
Sie haben doch aber, sollte ich nicht völlig irren, die Machbarkeit des adjektivischen Gebrauchs von wertig negiert.

Merke: Wer (wissenschaftlich) zu dicht dran ist, verliert leicht den Überblick.
Dafür ist die argumentative Ebene sachlich und nachvollziehbar, da von persönlichen Animositäten weitgehend befreit.

Wenn man sich mit Sprache beruflich beschäftigt, muss man – wohl oder übel – feststellen, dass „Stil“ ein viel komplizierterer Begriff ist, als wir das aus dem Gymnasium mitbekommen haben.
Wer bestimmt, was stilistisch gut oder schlecht ist? Hatte Thomas Bernhard einen schlechten Stil? Er wiederholte sich doch dauernd! Oder Stefan George – guter Stil oder schwülstiges Gefasel? Es ist müßig das zu vertiefen.
Sicheren Boden unter den Füßen haben wir nur bei Aussagen darüber, ob etwas richtig oder falsch ist. Wenn es z.B. im Duden steht, ist es richtig. Ende der Diskussion. (Dass ich nicht mit jeder Entscheidung der Dudenredaktion einverstanden bin – aus guten Gründen nicht einverstanden bin – ist irrelevant. Meine Zustimmung zum ABGB ist schließlich auch nicht von Interesse!)

Alles andere fällt unter die Kategorie „gefällt mir“ oder „gefällt mir nicht“. Mir persönlich gefällt beispielsweise der Stil von Elfriede Jelinek nicht immer, vielleicht ist sie genau deswegen eine große Schriftstellerin. Weil sie es uns nicht leicht macht. Es muss nicht unbedingt gefällig sein.

Übrigens: Wenn „wertig“ von der Sprachgemeinschaft als Adjektiv empfunden wird, das auch ohne Präfix positiv verstanden wird, ist das ein Bedeutungswandel, der schlicht hinzunehmen ist. Schließlich verändern Wörter ihre Bedeutung recht häufig – vom Dilettanten angefangen – bis hin zum Idioten.

Wenn Sie, werter ARBITER ELEGANTIARUM, dieses Wort als nicht elegant empfinden, dann sei Ihnen das unbenommen. Ich bin da übrigens ganz bei Ihnen, in meinem Wortschatz taucht es auch nicht auf. Was aber nicht geht ist zu sagen, dass jemand einen schlechten Stil hat, wenn er sich dieses Adjektivs bedient.
Würden Sie als Deutschlehrer in einer Schularbeit in so einem Fall einen Fehler anzeichnen, müssten Sie wohl mit Problemen rechnen.

Bleiben wir doch bei:
Ich empfinde diesen Stil als schlecht.
Und nicht bei: Dieser Stil ist schlecht. (Das ließe sich viel eher bei Grammatikfehlern sagen, derer ich just eben beim Lesen Ihres Beitrags ansichtig wurde. Da wir aber hier im Forum wohl alle – mich eingeschlossen!!! – ziemlich schnell dahintippen, ist das wohl eine lässliche Sünde...;))

LG
veltliner
Sehr schön formuliert. Dem möchte ich gerne zustimmen.

Mir geht es im übrigen keineswegs darum, die sprachliche Stellung des diskutierten Lexems zu festigen, kritisieren oder verteidigen. Meine Argumentation ist vielmehr als modellhaft zu betrachten.
 
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