Sommerstreifen

Zwischen Juni und September lässt der Dresscode Baumwolle für den Geschäftsalltag zu, bei den Farben wird eine Ausnahme vom kategorischen „no brown in town“ gemacht, klassisch sind Töne wie Tabak, Milchkaffee, Khaki, Oliv oder Kitt. Weiße Anzüge sind im Business tabu, es sei denn, Sie betreiben es von ihrer Villa in Capri.

In den USA können Broker und Banker sich getrost im Seersuckeranzug blicken lassen, an der Frankfurter Börse würde er allerdings Befremden erregen. Das ist sehr schade, denn erstens ist Seersucker der Ivy-League-Sommeranzugstoff schlechthin und zweitens hat keine andere Baumwollware ähnlich gute Trageeigenschaften. Seersucker ist äußerst atmungsaktiv, leicht und unempfindlich. Da er sowieso nicht richtig glatt ist, stören ein paar Knitterfalten nämlich ganz und gar nicht. Und bei der unruhigen Oberflächenstruktur fallen die kleinen Unebenheiten auch viel weniger auf als bei einem seidig schimmernden Baumwollgabardine. Gesteigert wurden diese Eigenschaften in den Sechzigern und Siebzigern des 20. Jahrhunderts durch die Beimischung von Kunstfasern, deshalb erlitt der Stoff einen vorübergehenden Imageschaden. „Wash and wear“ waren Stichworte, die reisende Handelsvertreter überzeugten, denn sie konnten den Anzug am Abend eines heißen Tages im Hotel durchwaschen und über Nacht auf einem aufblasbaren Bügel trocknen lassen, den Gentleman schreckten solche Vorteile natürlich eher ab.

Heute bieten die Webereien Seersucker wieder in Reinkultur an, also aus 100 Prozent Baumwolle, insofern steht nur noch seine Optik der Wahl im Wege. Viele Herren können mit den feinen Streifen einfach nichts anfangen, das Dessin erinnert sie viel zu sehr an Morgenrock oder Schlafanzug. Ich kann da nur Mut machen. Seersuckeranzug, weißes Hemd und eine frische Krawatte in Pink, Gelb oder Mint, fertig ist der lässig-elegante Sommerlook im besten Preppy-Style. Der passt sicherlich nicht in die Vorstandsetage dafür aber umso besser zur Gartenparty oder Vernissage.

Kategorie: Magazin

Bernhard Roetzel

Bernhard Roetzel schreibt über Herrenmode und verschiedene Stilfragen. Der Bildband "Der Gentleman. Handbuch der klassischen Herrenmode" ist seine bekannteste Publikation, sie liegt in fast 20 Übersetzungen vor.

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