Ein weites Feld

Bei einer Unterhaltung über Hemden kam neulich Abend von meinem Gesprächspartner die Aussage, dass der Anbieter XY nun zum Glück endlich auch eine „Slimfit-Form“ anbietet. Ich selbst bin gar nicht so begeistert von den engen Schnitten. Sie sehen eigentlich nur bei äußerst schlanken Figuren vorteilhaft aus, Hüftpolster oder Bäuche zeichnen sich dagegen allzu deutlich unter dem Stoff ab. Und ein Hohlkreuz sieht durch das am Körper klebende Gewebe noch hohler aus.

Die Alternative sollte dazu soll freilich nicht das Zelt sein, vielmehr ein Schnitt, der genug Bewegungsraum gibt und dennoch der Statur nachgezeichnet ist. Auch die Gesamtlänge ist äußerst wichtig für ein entspanntes Tragegefühl. Zu kurze Hemden rutschen ständig aus den Hosen, zu viel Länge trägt unter dem Gürtel auf. Auch bei Anzügen gilt vielen Fans des klassischen Looks körpernah geschnitten als gut geschnitten. Dabei brauchen gerade diese Kleidungsstücke genug Weite, um fallen zu können.

Die Kunst des Maßschneiders besteht darin, sie im exakt berechneten Maß an den richtigen Stellen zu platzieren. So zeichnet sich das gut sitzende Sakko durch ein Armloch aus, das genau an der richtigen Stelle positioniert und durch die Menge Tuch am Rücken, die Bewegungsfreiheit gibt. Zu enge Sakkos lassen außerdem den Kopf zu groß erscheinen, was Erwachsene kindlich und damit unsouverän wirken lässt. Und welcher Kniestrumpfträger hat sich nicht schon über Hosenbeine geärgert, die nicht über die Waden herabrutschen wollen? Wie sagt man so treffend in der Savile Row? Das einzige, was dort so wie ein Handschuh passt, ist ein Handschuh. Sprich: Auch bei eng oder weit ist alles eine Frage der Dosierung.

Kategorie: Magazin

Bernhard Roetzel

Bernhard Roetzel schreibt über Herrenmode und verschiedene Stilfragen. Der Bildband "Der Gentleman. Handbuch der klassischen Herrenmode" ist seine bekannteste Publikation, sie liegt in fast 20 Übersetzungen vor.

Kommentar schreiben