Die Preise eines Handwerkers

Und, nicht vergessen, provokant: Gerade die an sich prädestinierte Schicht knausert gerne. Klar, dicker Bentley geleast und dann wird angegeben, wo man was noch billiger bekommt. Sprich, wo das Ego gekitzelt wird, fällt der "dumme Handwerker" hintenüber. Soll jetzt nicht sozialkritisch klingen, ist aber so.
 
Und, nicht vergessen, provokant: Gerade die an sich prädestinierte Schicht knausert gerne. Klar, dicker Bentley geleast und dann wird angegeben, wo man was noch billiger bekommt. Sprich, wo das Ego gekitzelt wird, fällt der "dumme Handwerker" hintenüber. Soll jetzt nicht sozialkritisch klingen, ist aber so.


Käse!
Niemand, der sich einen Bentley leisten kann, prollt damit rum, wo er etwas billiger kriegen kann. Das ist nur ein äußerst seltsames Feindbild. Auf den Preis wird von Menschen geachtet, die begrenzten Ressourcen verwalten müssen. Ein Bentley wird dagegen von Leuten gekauft, die damit zeigen, dass sie gerade nicht auf das Geld achten müssen. Diese Leute kaufen Kleider von Coco Chanel, die dann nach einmaligem Tragen in die Second-Hand-Boutique wandern. Deren Kunden sind dann die, die damit angeben, was für Schnäppchen sie wieder geschossen haben. Die männlichen Bentley-Besitzer lassen ein Dutzend Anzüge für die kommende Saison vom Maßschneider anfertigen, vom Chauffeur abholen und werfen sie nach 6 Monaten in die Altkleidersammlung. Von dort wandern sie dann via Ebay zu denen, die mit dem Schnäppchen angeben.
 
Bitte nochmal lesen. Ich rede von _geleaster_ Karosse. ;-) Mithin obere Mittelschicht, teilweise Emporkömmlinge. Früher war das Bügertum und hierbei Maß selbstverständlich. Die wirklich großen Jungs verhalten sich oft, wie von Dir beschrieben. Ich betreue online größere Handwerker / Mittelständler. Bei deren Auftraggebern mit "altem Geld" steht Leistung und Stressfreiheit im Vordergrund. Jetzt rat mal, wo die Leute am meisten ihrem Arbeitslohn hinterher rennen müssen: Shownummern, Egos. Aber die Karosse muss es sein ;-).
 
Mein Friseur bspw. ruft für den Herrenhaarschnitt, für den er regelmäßig mit nettem Plausch über 30 Minuten benötigt, 16 € (brutto!!!) auf und kann, indem er 20 Kunden am Tag, sechs Tage die Woche durchhaut, davon leben. Grund für den - immerhin ist er Friseurmeister und nimmt Gesellenprüfungen ab - geringen Preis dürfte der Markt der sein, an dem man wohl in der breiten Masse der Friseure über den Preis positioniert; der günstige Preis wird als üblich und (deshalb?) angemessen angesehen, wer bemerkenswert nach oben abweicht müsste sich über andere Merkmale rechtfertigen, nur über was?
Wenn er in der Stadt 2.000-4.000€ Miete zahlt und abzüglich der allgemeinen Kosten mit dem Geld für einen 240Std./Monat zufrieden ist. Ist das schon ok. Dann sollte er aber auch sicher jeden Tag ausgebucht sein.

Normal für einen Frisör, und ich glaube ein Bespoke Schneider ist hier eher vergleichbar mit dem Frisör der eine Dame einen neue Frisur und Aussehen verleiht, nimmt wohl für einen 90-120Minütigen Besuch selten unter 120€. Hab mich gerade nochmal bei meiner Frau erkundigt.
Ein Freund wollte in Wiesbaden einen 10€ Frisör aufmachen. Im Businessplan standen 10min Leistung im Schnitt. Macht auch 60€/Std, ganz ähnlich wie der Frisör meiner Frau mit seinen 120€ für rund 2Stunden.
 
Allen schon mal ein dickes Danke bis hierher.

Ein paar konkrete Zahlen wären schön. Wir haben ja hier ein Beispiel gelesen von 32€ (30min 16€) und eins von etwa 50€ ... weitere Beispiele wären schön :)
 
Ich würde mich nicht an einem Stundenlohn aufhängen. Die Arbeit pro Stück ist sowieso variabel (Beratung, Art des Stoffes, Besorgen spezieller Austattung, Fehlerrisiko). Ich würde stattdessen die komplette Arbeitszeit als Fixkosten betrachten und lieber schauen, wieviel Stücke es bräuchte, um diese Arbeitszeit minimal/maximal abzudecken.

Für die Kalkulation eines Anzuges würde ich dann eine Marktpositionierung in Form eines Orientierungspreises durchführen:
<1000 Euro SuSu/China
<2000 Euro Cove MTM sowie hochwertige RTW (bspw. Stile Latino)
<3000 Euro italienische MTM bspw Orazio Luciano
in keinem dieser Sektoren kann man glaubwürdig in Deutschland konkurrieren.
Dementsprechend ergibt sich zwangsläufig ein Fenster 3000-4000 Euro, das man sinnvollerweise am hinteren Ende ausnutzt, also 3800 Euro (+ Stoff, da man ja auch keine 08/15 Qualitäten verarbeiten möchte).

Die internationale Konkurrenz mit gutem Namen liegt bei 4000 - 6000 Euro, da kaum ein deutscher Schneider ein solches Renommee hat, wird die Luft dort sehr schnell dünn.

Die entscheidenden Fragen sind jetzt:
- kann ich eine diesem Marktsegment adäquate Qualität liefern? (attraktiver konkurrenzfähiger Schnitt, Verarbeitung unterschiedlichster Stoffe, schöner lapel roll, Handknopflöcher, etc)?
- bekomme ich genau die richtige Menge an Kunden (nicht zuviel -> Überstunden/Fehler, nicht zuwenig -> kein Verdienst)?
 
Noch weiter gefasst.

Man bräuchte eine Zusammenballung von Schneidern und benachbarten Gewerken, idealerweise verkehrsgünstig. Das sind konkurrenzsuchende Betriebe, die voneinander profitieren. Das sehe ich nicht mehr in deutschen Großstädten. Hier hast Du eine Inflation von Flagships und Modetempeln mit ganz anderen Spannen - bis hin zum unvermeidlichen Apple oder Starbucks.

Normale Schneider können sich in Düsseldorf weder die Kö, noch die Berliner Allee leisten. In London verteidigen sich mühsam Savile Row und Jermyn Street gegen die Guccis und Pradas dieser Welt. Ich habe hier irgendwo noch einen Anzug von Schrader/DDorf. Die haben keine Chance mehr, wenn ihnen nicht die Gebäude gehören.

Bezüglich Preisen: Echte Schneider sind nicht skalierbar bei der Produktion. Von Markenklamotten bestellt man einfach den nächsten LKW. Die Schneider können niemals bei Umsatz pro Quadratmeter in attraktiven Innenstadtlagen mithalten.
 
Ich würde mich nicht an einem Stundenlohn aufhängen. Die Arbeit pro Stück ist sowieso variabel (Beratung, Art des Stoffes, Besorgen spezieller Austattung, Fehlerrisiko). Ich würde stattdessen die komplette Arbeitszeit als Fixkosten betrachten und lieber schauen, wieviel Stücke es bräuchte, um diese Arbeitszeit minimal/maximal abzudecken.
Das Ziel ist es ja diesen Fixpreis zu ermitteln.

Wenn ein Schneider seine sagen wir mal 3.500€ für die Anfertigung aufruft, weiß ich ja noch nicht ob das ein Anzug ist in dem 50 oder 90 Stunden drin stecken ... ergo sagt mir der Preis ja nichts ...
wenn ich aber weiß, dass er 60€ die Stunde nimmt, weiß ich dass der Bespoke mit 50Std 3.000€ kostet und der mit 90Std dann eben 4.500€ ...

Mir geht es dabei um Transparenz für den Kunden! Um eben das Handwerk bzw. Handwarbeit beim Anzug wieder nahe zu bringen :)
 
Mir ist erstens unklar, warum Handarbeit bei einem Anzug überhaupt einen Wert darstellt und zweitens warum die Handarbeit eines Frankfurter Handwerkers einen höheren Wert darstellt als die eines Chinesen.

Ist ein von Hand gedengeltes Auto besser als ein industriell hergestelltes?
Ist eine Uhr mit handgefeilten Zahnrädern genauer als eine mit industriell hergestellten?
Sind Frankfurter mehr Wert als Chinesen? Ist ihre Arbeit mehr wert, oder kostet sie nur mehr?

Was genau ist der Mehrwert von Handwerksarbeit?
Teurer ist die Handwerksarbeit, das ist klar. Was macht sie besser? Die höhere Ausschussquote? Die Ungenauigkeiten? Die menschlichen Fehler?

Maßanfertigung bezieht ihren Mehrwert aus der Passgenauigkeit und der Individualität. Beides lässt sich aber auch mit industrieller Fertigung erreichen, es ist nicht an Handwerk und Handarbeit gebunden.
 
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