Lieber Jean,
ganz grundsätzlich haben Sie ja recht. Niemand hier hat die Verdienste von Herrn Roetzel auch nur in Zweifel gezogen. Und dass der "Gentleman" ein wichtiges Werk ist, das sich manch einer mal zu Herzen nehmen könnte, ist ebenfalls wahr. Aber einem schlauen Menschen wie Ihnen wird auch klar sein, dass Verdienste an sich nicht unbedingt ein Grund sind, auch alles andere, was eine Person macht, hochzujubeln. Ich hätte auch gar nichts dagegen, wenn Herr R. weiter seine Mission verfolgen würde, Stilnovizen - wie ich es auch bin - weiter in die Basics der geschmackvollen Kleidung einzuweihen. Tut er aber nicht. Ich weiß nicht, ob Sie die Beiträge gelesen haben - der Informationsgehalt ist auch für Anfänger gleich Null. Solche "faule" Schreibe darf man meines Erachtens kritisieren, gerade bei einem so angesehenen Schreiber. Mit Hybris hat das entgegen Ihrer Annahme nichts zu tun.
Lieber Charlie,
ich denke, daß wir in weiten Teilen übereinstimmen. Auch ich halte die in diesem Thema verlinkten oder zitierten Artikel von Roetzel für
below his standards und gehörte ja durchaus zu denjenigen, die die ersten Steine geworfen haben. Dessen ungeachtet halte ich die Artikel für weit entfernt von "Informationsgehalt gleich Null"; wenn man zur Messezeit einmal durch die Frankfurter Innenstadt geht und sich dazu zwingt, die Augen nicht vor Grausen stets auf den Boden gerichtet zu halten, wird schnell erkennbar, daß klare und aus unserer Sicht triviale Regeln wie "Keine Comic-Krawatten" einer erschreckenden Zahl unserer Mitmenschen entweder unbekannt oder egal sind. Roetzels
Back to the absolute basics mag hier gar nicht so falsch sein, wenn man sich sein Zielpublikum für derartige Simplifizierungen anschaut. Denke Sie immer daran, daß ein "Stilnovize", als der Sie sich ja hier ganz bescheiden selbst darstellen, wenn er auch nur zehn Diskussionsbeiträge hier gelesen oder gar selbst verfasst hat, im Zweifelsfall hundertmal mehr von klassischem Kleidungsstil weiß als der Durchnschnitt der Bevölkerung.
Im übrigen sollte man vielleicht auch seinen Broterwerb nicht stets am hehren Ziel einer "Mission" messen. Roetzel muß ja als Autor derartiger Artikel eben auch die Wünsche und Erwartungen seiner Kunden bedienen, und das sind nun eben nicht primär die hier versammelten Stil"missionare" sondern Magazine und Blogs, die wiederum Ihren eigenen Kunden- und Leserstamm zufriedenstellen wollen, der nur eine sehr kleine Schnittmenge mit uns und unseresgleichen haben mag.
Ich bin der Erste, der Ihnen darin zustimmt, daß wir keinen "Stilpapst" und vor allem keine unreflektierte, quasi-religiöse Huldigung eines solchen brauchen. Andererseits scheint aber in Foren wie diesem gelegentlich eine Geheimlogen-Kultur zu wuchern, in der ein unabdingbares Zeichen für das Erreichen höherer stilistischer Erleuchtungsgrade darin zu bestehen scheint, daß man geradezu rituell und so öffentlich als möglich den alten Meistern abschwört. "Der Anfänger kennt die Regeln, um sie zu befolgen. Der Meister kennt sie, um sie zu brechen", ergo: Will ich mich selbst als Meister positionieren, so muß ich Roetzel sichtbar hinter mir lassen.
Lassen Sie uns doch das Gerüchten zufolge derzeit in Arbeit befindliche nächste Buch des Herrn Roetzel abwarten und dann diskutieren, ob er (weiterhin) Qualität "kann" oder aber nunmehr doch als Trivialschreiberling abgelegt werden kann.
In diesem Sinne: "Es ist nicht alles Roetzel was glänzt!" Oder war's "Es ist nicht alles Gold was roetzelt"? Wie auch immer...
Herzliche Grüße,
dE