Suit Supply

Hallo zusammen,

heute war ich nun das erste Mal meines Lebens in einem nicht näher spezifizierten Suit Supply Store und habe den Laden nach etwa einer Stunde mit etwas gemischten Gefühlen wieder verlassen.

Schon beim Betreten kam mir diese ganze Atmosphäre ein wenig künstlich, um nicht zu sagen "albern" vor. Überall huschten Bedienstete mit Einheitskleidung in Form von teilweise eher schlecht als recht sitzenden Anzügen und riesigem Headset-Knopf am Ohr durch die Gegend und räumten Kleidungsstücke umher. Beim Durchschreiten der Räume fiel mir dann auf, wie viele Kundinnen und Kunden denn in den Räumlichkeiten überhaupt unterwegs waren. Scheinbar kann auch ohne vorige Terminvergabe in Suit Supply Geschäften eingekauft werden, was sich in einem durch und durch bunt gemischten Klientel wiederspiegelte. Ich hatte den Eindruck, vom Bräutigam auf der Suche nach seinem Hochzeitsanzug bis hin zum mit Sneakern bekleideten Disco-Pumper, der sich extravaganter oder auch prolliger kleiden möchte, war dort alles dabei.

Nach kurzer Wartezeit kam dann die für mich reservierte Beratungsperson auf mich zu und hat sich kurz vorgestellt, um mir unmittelbar darauf mitzuteilen, dass sie den vorigen Kunden noch eben verabschieden möchte. Kein Problem!

Nach der Verkündung meines Anliegens (= Kauf eines Anzugs) ging es dann direkt los und mir wurde quasi aus dem Kalten ein Sakko in die Hand gedrückt, welches ich anprobieren sollte. Okay, gut geraten, die Größenordnung dürfte in etwa hinkommen. An dieser Stelle hätte ich mir aber eigentlich schon viel mehr Kommunikation erhofft: Für welchen Anlass soll der Anzug denn erworben werden? Wie formal soll er sein? Welchen Schnitt wünsche ich mir? Welche Farbe soll er haben? Welcher Stoff, etc. - dies blieb mehr oder weniger gänzlich auf der Strecke. Stattdessen hatte ich den Eindruck, dass die Beratungsperson am besten wisse, was ich denn benötigen würde. Die erste Anprobe war dann irgendein kostengünstiger Havana-Verschnitt für einen schmalen Taler. Nachdem ich im Anschluss dieser ersten Passprobe angeregt hatte, dass wir gerne auch in etwas höheren Preisklassen schauen könnten, sind wir bei einem S150er Full Canvas angekommen. Hier war jedoch kein navy-blauer Anzug in meiner Größe verfügbar, weshalb ich dann eine andere Farbe anprobiert habe.

Getragen wurde übrigens fast nur der Havana-Schnitt, der aber tatsächlich auch ganz gut gepasst hat. Auf meine Frage hin, ob es denn keine anderen Modelle aus der Napoli, Milano oder Sienna-Serie für mich geben würde, wurde dies verneint, weshalb ich dann nach einem Roma gefragt habe. Bei der Anprobe eines Roma-Sakkos war der Unterschied zu den eher modern geschnittenen Havana-Anzügen natürlich sofort offensichtlich. Nichtsdestotrotz war ich irritiert, dass scheinbar keine der drei oben genannten Serien (mehr?) verfügbar war. Scheinbar "existiert" dort für meine Figur und Vorstellung nur der Havana, oder hätte ich meinen Wunsch nach vielfältigerer Durchprobe vielleicht noch präziser formulieren sollen.

Ebenfalls irritiert war ich von den Größenangaben: Wir sind direkt mit Kurzgrößen eingestiegen, was meinen Verdacht erhärtet, dass die Suit Supply-Konfektionsgrößen pauschal alle eine Nummer zu groß spezifiziert sind. Ich maße mir selbst an, weder Übergewicht noch außergewöhnliche anthropometrische Proportionen aufzuweisen. Erst durch meine verwunderte Nachfrage wurde dann noch eine Nummer kleiner probiert, die sogar an den Schultern und am Kragen noch etwas besser gepasst hat.

Gegangen bin ich dann letztlich ohne einen Kauf. Mir ging das irgendwie alles viel zu schnell und ich wollte die gesammelten Eindrücke zunächst noch einmal in Ruhe verarbeiten. Ein Kauf unter Hektik wäre mir bei einem solchen Kleidungsstück nicht angemessen erschienen. Zudem kamen mir die getesteten Navy-Farben alle extrem dunkel vor - ein etwas freundlicheres blau hätte mir da besser gefallen. Auch das Gewusel der anderen Kunden hat mich irgendwie nicht richtig entspannen lassen können, weshalb ich die Entscheidung vertagt habe.

Fazit: Klar, es wäre völlig vermessen, zu erwarten, dass in einem Suit Supply Store der gute alte Schneider mit seiner Hornbrille und Maßband persönlich an der Nähmaschine sitzt. Nichtsdestotrotz kam mir dieses Erlebnis aber ein wenig wie eine Massenabfertigung vor. Die Beratungsperson hat mir faktisch verschiedene Dinge nahegelegt, und erst auf Nachfrage haben wir auch andere Varianten angesehen bzw. getestet. Zwar hat sich die Person wirklich sehr gut ausgekannt, aber etwas mehr als das Loben der eigenen Produkte und der Aussage, wie toll das Kleidungsstück doch an mir aussehen würde, hätte ich mir schon gewünscht. Auch die Erläuterungen zum jeweils getragenen Stück waren jetzt nicht so umfangreich, wie ich das vielleicht erwartet hatte. Hier wären ein paar ergänzende Informationen hilfreich gewesen, zum Beispiel "Du trägst jetzt hier gerade ein Havana-Sakko in mittlerer Größe, das aber im Vergleich zum vorigen Modell nun Paspeltaschen besitzt und hier und dort gewisse Änderungen erfahren hat".

Nun werde ich vermutlich doch im Internet bestellen und dort aus der Vielzahl der verfügbaren Modelle eine mir gefällige Variante aussuchen. Für die Beratungsperson tut es mir sehr leid, weil bei Suit Supply offenbar ein Verkaufsprämiensystem realisiert ist. Wäre die Verkaufsperson nicht so sehr in ihr "Schema F" gezwängt, so wäre die Gesamtatmosphäre sicherlich deutlich angenehmer ausgefallen. Äußerst nett war es allemal!

Bin ich jetzt mit falschen Erwartungen zu Suit Supply? Oder hat schon jemand ähnliche Erfahrungen in deren Geschäften gesammelt?
 
Bestimmte Punkte sind imho fast immer so (Hektik im Store, Berater die mehrere Kunden gleichzeitig beraten)
Deshalb empfiehlt es sich sich vorher zu informieren (Webseite) und dann gezielt die Ideen zu Sparren. Und klare Ansagen machen, ansonsten gibt’s Schema F.
Dazu kommt häufig schlechtes Personal…
 
Bin ich jetzt mit falschen Erwartungen zu Suit Supply?
Vielleicht. Das ist halt kein Tempel des gehobenen Kleidungsgeschmacks, in dem Hohepriester die sartoriale Heiligkeit zelebrieren. Es ist ein hipper Laden, in dem man ganz ordentliche Anzüge verkauft. Mit der Erwartungshaltung wärst Du auch bei Brunello Cucinelli enttäuscht. ;)

Diskussionen über kleinste Details findest Du nur unter Enthusiasten. Also hier. ;)
 
Mit der Erwartungshaltung wärst Du auch bei Brunello Cucinelli enttäuscht. ;)
Naja, Cucinelli ist schon eine andere Liga. Und nichtmal die direkt drüber, sondern nochmal nochmal drüber. In wirklich jeder Hinsicht. Ist eben nur irre teuer. Den Weg geh ich auch nur selten, aber dann hat es sich immer gelohnt. Wenn man nicht als Kind in das Fass mit dem Bargeld gefallen ist, bleibt es bei mal einem Stück. Aber hey, dann hat man eben nicht 6 Teile, sondern 2, die wirklich supreme sind.

SuSu verklappt Massenware, bei der ich z. B. das Gefühl habe, die sind deswegen so irre klein, weil ein Betriebswirt "den Materialeinsatz optimiert" hat. Ich denke aber, wie es da zugeht, kommt den Vorstellungen der potentiellen Kunden schon nahe. Für mich ist SuSu mit allem drum und dran nur eine Simulation von guten Sachen in schönen Geschäften kompetent gemacht und verkauft.
 
Die Sachen sind halt schon gut für den preispunkt. Für was besseres mit mehr Auswahl musst du schon ziemlich viel mehr preisbereitschaft mitbringen.
 
Ganz herzlichen Dank für all eure Bestärkungen! Ich dachte schon, ich wäre mit meinen Erwartungen völlig neben der Spur. :)

Bei der Beratung hätte ich mir eben einfach etwas mehr Erläuterung gewünscht, welches Modell mir denn da gerade überhaupt, warum und in welcher Größe ausgehändigt wird.

Im Passform-Faden wurde mir nun empfohlen, besser einmal die Roma-Serie auszuprobieren.

Frage hierzu:

Wenn ich einen Roma-Anzug von der Stange bestelle, dann kann ich diesen ja innerhalb des 14-tägigen Rückgaberechts problemlos wieder zurücksenden, oder? Bei einer Bestellung mit Änderungen nach Kundenwunsch ("Customization") wird das ja wohl nicht mehr gehen.

Wären auch bei Mix & Match Rückgaben möglich? Dann könnte ich vielleicht eine 25er Hose mit einem 48er Sakko kombinieren.
 
Naja, Cucinelli ist schon eine andere Liga. Und nichtmal die direkt drüber, sondern nochmal nochmal drüber. In wirklich jeder Hinsicht. Ist eben nur irre teuer. Den Weg geh ich auch nur selten, aber dann hat es sich immer gelohnt. Wenn man nicht als Kind in das Fass mit dem Bargeld gefallen ist, bleibt es bei mal einem Stück. Aber hey, dann hat man eben nicht 6 Teile, sondern 2, die wirklich supreme sind.
Dann war die Luxusdesignerwerbung wenigstens nicht ganz umsonst, Dich hat sie erreicht. ;) Keine Konfektion, egal wie teuer, erreicht auch nur annähernd, was mit Bespoke möglich ist, und ist sich unabhängig vom Preis untereinander viel näher als im Unterschied zu handwerklichem Vollmaß. Aber den Weg gehen halt auch nur wenige, weil selbst die, die es sich leisten können, in der Preisklasse lieber das Markenlabel vorzeigen können wollen. Und wenn es nur dazu dient, sich selbst zu bestätigen, dass man sich da mal was richtig Gutes gegönnt hat.

Aber davon abgesehen, Cucinelli ist natürlich eine andere Preisliga, aber glaubst Du ehrlich, dass Du da mit dem Verkaufspersonal über Machart-Details philosophieren kannst? Da arbeiten doch keine anderen Leute als bei SuSu. Manchmal wechseln die sogar hin und her, das ist simples Retailer-Geschäft.

SuSu verklappt Massenware, bei der ich z. B. das Gefühl habe, die sind deswegen so irre klein, weil ein Betriebswirt "den Materialeinsatz optimiert" hat. Ich denke aber, wie es da zugeht, kommt den Vorstellungen der potentiellen Kunden schon nahe. Für mich ist SuSu mit allem drum und dran nur eine Simulation von guten Sachen in schönen Geschäften kompetent gemacht und verkauft.
Es gab mal eine Zeit, lang vergangen, da hat man unter Kleidungsfreaks tatsächlich vor allem über Inhalte gesprochen, Sichelnähte an Taschen, vernähte Einlagen, pikierte Revers, Stoffdetails. Das war eine Zeit, als SuSu der einzige Anbieter unter 1000,- für einen Anzug war, bei dem sich überhaupt solche Diskussionen anwenden ließen. Bei MTM ging noch viel mehr. Heute gibt es Nachahmer wie Anton Meyer und Spier & Mackay, die das Geschäftsmodell exakt kopiert haben, so dass SuSu da nicht mehr allein steht, was ja auch positiv für den interessierten Konsumenten ist.

Aber vor allem reden wir heute auch wieder mehr über Price Points und Herstellerrankings nach Angeberfaktor statt über Inhalte. Ist schade, aber wohl nicht zu ändern. Selbst die SuSu-Marketingkampagnen waren ja immer mehr auf Markenaufbau durch plakative Aufmerksamkeit angelegt als auf die inhaltliche Qualität von vernähtem Stoff, der ein Anzug ja unabhängig vom Preis immer noch ist und wo die Unterschiede in der Konfektion untereinander viel geringer sind, als es uns das Luxusmarketing einreden möchte. Ist halt einfacher, weil mehr Leute mitreden können/wollen.
 
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