Strictly Black Tie beim GQ Award

Camara

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Dem geneigten Leser möchte ich kurz meine Eindrücke des gestrigen Abends mitteilen. Das nicht ganz unbekannte Magazin für Gentlemen lud zur Preisverleihung nach Berlin Mitte in die Komische Oper. Die Einladung erreichte mich recht kurzfristig, sodass es auch für mich etwas schwierig werden sollte, dem gewünschten Erscheinungsbild in Gänze zu entsprechen, denn auf der Einladung machte der Gastgeber unmissverständlich klar: Strictly Black Tie. Nun ja, exakt diese Formulierung hatte ich zuvor zwar noch nicht lesen müssen, ich glaubte jedoch sie verstanden zu haben, zumal die ungewöhnliche Betonung auf Stringenz eigentlich keinen Interpretationsspielraum zuließ. Es sollte sich aber recht schnell herausstellen, dass Etikette in diesem Land in etwa so viel Wert ist wie die D-Mark.

Der Herausgeber Moritz von Laffert begrüßte einige Gäste persönlich, im zweireihigen, dunkelblauen Smoking Jackett in Samt. Eine Veranstaltung mit gut 1000 Besuchern entspricht nicht wirklich dem privaten Umfeld eines Clubs, wobei man Herrn von Laffert aber höchstens vorwerfen könnte, ein wenig zu angestrengt Ungezwungenheit demonstriert haben zu wollen. Vor Beginn der Preisverleihung hatte ich die Möglichkeit mich umzuschauen. Es vergingen keine zwei Minuten bis mir klar wurde: mit Jeans, Sneakern und einer beliebigen dunklen Jacke hätte ich die grimmig dreinschauenden Einlasser ebenso problemlos passiert. Während mir eine reizende Hostess mein Glas mit Ruinart nachfüllt, bemerke ich neben mir Mark Ronson in einem hellgrauem Anzug, der nicht von Thom Browne stammt, dessen Sakko aber trotzdem mit dem Gürtel abschließt, sowie die obligatorische ultraschmale schwarze Krawatte. Mehr Aufsehen erregen für mich aber die vielen nicht prominenten Anwesenden, welche offenbar direkt aus Büro oder Agentur in die Veranstaltung geeilt sein müssen. Anders kann ich mir all die violetten und rosafarbenen Hemden mit entsprechend bunten und breit gestreiften Bindern nicht erklären. Braune Schuhe und Wollmützen sind ebenso häufig vertreten wie unzählige missglückte Black Tie Interpretationen. Darunter auch eine sehenswerte von Jan-Henrik Scheper-Stuke; allerdings mit roter Schleife.

Als Bushido endlich zum Ende seines Eröffnungssongs kommt und ins Mikro brüllt: „Wo sind die Hände?“ höre ich mich innerlich rufen: „Vor den Augen!“. Sein eigenes Outfit bezeichnet er später als Smoking, obwohl es ein schnöder dunkler Anzug ist, zu dem er behutsam Suede Stiefelletten kombiniert hat. Es vergeht eine geschlagene Stunde, bis endlich ein Lichtstreif am Horizont erscheint. Der überaus sympathische Jean Todt ist der erste unter den Laudatoren und Preisempfängern in adäquater Abendgarderobe. Er kündigt Michael Schuhmacher an, der ebenfalls eine passable Figur macht in Samtjackett mit Schalkragen. Als die Preisverleihung vorüber ist, haben die meisten bereits Krawatte oder Fliege beseitigt. Ein paar Gläser durften es auf den Schock bei mir noch sein, bis ich die Veranstaltung verlasse wie ich gekommen bin: einreihiger schwarzer Smoking mit Schalkragen, schwarze Fliege (erster Kompromiss), Chesterfield Mantel und … meine eigentlich größte Sorge, schwarze -immerhin auf Hochglanz polierte- Derbys, da ich mein gesamtes Black Tie Outfit nicht rechtzeitig schicken lassen konnte, ich hatte es schlichtweg über mehrere Monate vergessen.

Grüße
Camara
 
Nun, diese Geschichte aus »Mitte« bestätigt auf böse Art und Weise ein Vorurteil, das ein Bekannter mir vor Monaten eingeimpft hat: Berlin ist wie Vorder-Ural.

(Please take it with a grain of salt)
 
Nun, diese Geschichte aus »Mitte« bestätigt auf böse Art und Weise ein Vorurteil, das ein Bekannter mir vor Monaten eingeimpft hat: Berlin ist wie Vorder-Ural.

(Please take it with a grain of salt)

Das betrifft möglicherweise diese Veranstaltung, ansonsten ist dieser Vergleich zu eindimensional. Berlin schillert (in allen nur denkbaren Farbnuancen) und hat mehr Facetten als jede andere mir bekannte Stadt in Europa - von top bis flop. Genau hinschauen ist hier wichtig, sonst kommt man in den sprichwörtlichen Wald hinein.

Gruß
Armin
 
GQ Award und Bushido sind doch schon geeignete Stichworte, um diesem "Strictly Black Tie Event" angemessen zu begegnen -
am besten in drei Ausgaben GQ blättern und irgendwas der abgebildeten Styles übernehmen.

Die "unzähligen missglückten Black Tie Interpretationen" erinnern mich an den Witz mit dem Geisterfahrer ("was einer? hunderte!") -
betrachte es einfach als eine Herausforderung, bei der nächsten Black Tie GQ-Veranstaltung die Wollmütze/den dünnen Schal auf die Farbe der Boots oder der Freundschaftsbändchen und -kettchen abzustimmen. :p
 
Zuletzt bearbeitet:
Die mit den schwarzen Krawatten dachten bestimmt sie hätten alles richtig gemacht, stand doch so auf der Einladung!
 
ich weiß schon, warum ich mitte meide und in meinem, manchmal etwas schnodderigem, west-berlin bleibe......

:D sehe ich genauso. Morgen ist Aidsgala in der Deutschen Oper. Ich bin mal gespannt. Letztes Jahr waren die meißten absolut passend gekleidet, d.h. Black tie oder bunte Kostüme bei Männern, es ist aber meißtens überwiegend Politprominenz und Westberliner Establishment da (Rolf Eden in elfenbeinfabigem Dinnerjacket stach ziemlich heraus ;)).
 
Jedes Jahr das selbe Spiel bei der Silvestergala in dem von mir und Mrs. Simmons bevorzugten Restaurant/Bar/Club: "Abendgarderobe" steht auf dem Programm und das lässt offenbar Interpretationen zu, die sogar Jeans als Beinkleid sowohl bei Herren als auch bei den Damen zulassen. :cool:
Mit Smoking und Abendkleid sind wir zwar regelmäßig angemessen gekleidet, wirken aber im Vergleich zu den übrigen Gästen durchaus overdressed. :rolleyes:
 
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