Jazznow
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Hallo zusammen,
mit etwas Verspätung kommt jetzt mein versprochener Beitrag. Ich warne schon mal vor, dass er etwas länger wird. Wenn ich mal ins schwafeln komme, finde ich kein Ende
Der Beitrag soll mehrere Themen bearbeiten. Zum einen die aktuelle wirtschaftliche und technische Entwicklung der Branche und zum anderen die beiden häufigsten Fußdeformitäten, ihre Auswirkungen auf die Passform und eventuelle Gegenmaßnahmen.
Die wirtschaftliche Entwicklung der Branche wird beeinflusst durch zwei Faktoren: 1. Alterung der Gesellschaft = mehr Kundschaft, grundsätzlich nicht schlecht, aber in unserem Zusammenhang eher nebensächlich.
2. Die Preispolitik der Krankenkassen. Die ist inzwischen zum Teil echt nicht mehr fair. Alle paar Jahre mal ne Preiserhöhung, die dann kaum die Inflation ausgleicht. Die letzte Änderung der Einlagenpreise hat die Preise sogar real gesenkt. Die Grundpreise wurden zwar um ein paar Euro angehoben, dafür aber eine ganz wichtige Position abgeschaft, nämlich der Abdruck. Diese Position war im Grunde diejenige, mit der wir als Schuhtechniker auch unseren Beratungsaufwand etwas abfangen konnten. Bei schweren Fällen, wo man eine Stunde lang berät bringen die 15€ für den Abdruck auch nichts mehr, aber im Normalfall dauert so ein Beratungsgespräch inkl. Abdruck nehmen 20-30 min.
Diese schwierige Preisgestaltung führt letzen Endes zu zwei Reaktionsmustern. Die einen Kollegen machen Masse statt Klasse (Einlage aus der Schublade), die anderen gehen den anderen Weg, investieren viel in Beratung und Qualität und sind dann aber gezwungen saftige wirtschaftliche Aufschläge zu nehmen (d.h. eine Zuzahlung über den gesetzlichen Eigenanteil von max. 10€ hinaus). Dabei sind 20-30€ Zuzahlung heutzutage üblich und es geht auch hoch bis auf 100€ bei einigen Kollegen.
Der Vorteil ist - und damit wären wir bei der technischen Entwicklung - dass man technisch auf der Höhe der Zeit sein sollte um solche Aufzahlungen zu rechtfertigen.
In den letzten Jahren hat sich sowohl im Bereich der Herstellungsverfahren, als auch im Bereich der Materialien einiges getan. So ist heute CAD/CAM Fertigung von Einlagen in vielen Betrieben Usus (leider wird trotzdem häufig eine Standard Einlage gefräst anstatt die Möglichkeiten zu nutzen und die Einlage direkt am PC individuell anzupassen). 3d Scanner sind auch schon weit verbreitet und einige Kollegen arbeiten bereits mit 3d Druckern.
Materialseitig hat sich vor allem im Bereich der Polstermaterialien viel getan. Man kann heute mit deutlich dünnerem Polster dieselbe Entlastung erzielen wie vor 10 Jahren mit einem dicken Polster. Nichtsdestotrotz gilt die Regel weich=dick. Ein Polster sollte schon einige mm Stärke haben, damit es wirksam sein kann und damit wird es im Bereich der hochwertigen LEderschuhe schon schwierig.
Dafür haben wir ein anderes Material mit dem sich Platz einsparen lässt: nämlich Carbon. Damit lassen sich schon mit einem 1-1,5mm dicken Laminat Festigkeiten erreichen, für die man früher eine massive Korkledereinlage gebraucht hat. Leider hantieren nur wenige Kollegen effektiv mit Carbonmaterialien. Häufig wird damit zwar geworben, aber es handelt sich dann lediglich um Carbonoptik oder ähnliches.
Kommen wir zu den Fußproblemen:
Die Volkskrankheiten hier heißen eindeutig Spreiz- und Knick(Senk)fuß, gerne auch in Kombination. Bei beiden handelt es sich letztlich um Erschöpfungserscheinungen des Bandapparates, der unsere Fußgewölbe verspannt.
Beim Spreizfuß sinkt das Quergewölbe ab dass sich hinter den Köpfen der Mittelfußknochen (MFK) aufspannt. während normalerweise nur der inner und äußere MFK-Kopf die Hauptbelastung tragen, werden beim Spreizfuß auch die mittleren Köpfen verstärk in die Belastung einbezogen, was zu Schmerzen, Schwielen und letztlich zu Entzündungen führen kann. Zusätzlich wird der Fuß im Ballenbereich breiter und flacher.
Versorgung: Einlage mit Quergewölbestütze und - wenn denn Platz im Schuh ist - Polsterung. Wenn eine Entzündung vorliegt, sollte man auf jeden Fall mit Polsterungen arbeiten. Notfalls muss man mal ne Zeitlang Turnschuhe o.Ä. tragen, bis die Entzündung abgeheilt ist. Alternativ kann man eine Schuhzurichtung vornehmen lassen. Dabei wird im Bereich der MFK ein Loch in Brand und Laufsohle geschnitten, mit Polster aufgefüllt und eine neue Laufsohle draufgemacht. Möchte man wahrscheinlich bei Schuhen wie wir sie tragen gerne vermeiden, ist aber immer noch besser, als wenn die Schuhe nur noch im Schrank stehen, denn häufig werden die Schmerzen chronisch.
Der Knick-Senkfuß beinhaltet eine Absenkung des Längsgewölbes ist häufig gar nicht schmerzhaft, führt aber später zu Arthrose durch Fehlbelastung. Passformtechnisch stellt diese Deformität ein Problem dar, weil das Fersenbein schräg steht (nach innen abgekippt). Damit wird ein guter Sitz im Fersenbereich natürlich zum Problem. auch hier schaffen Einlagen mit Längsgewölbestütze abhilfe, solange der Fuß nicht kontrakt, also noch korrigierbar ist.
Die Einlagen sollten natürlich möglichst dünn sein, damit im Schuh noch genug Platz verbleibt. Normalerweise empfehle ich langsohlige Einlagen, weil so ein umherrutschen im Schuh vermieden wird. Bei hochwertigen Lederschuhen ist manchmal aber schon 1-1,5mm zu viel, weshalb dann auch kurzsohlige Einlagen Sinn machen. Sie sollten so flach wie möglich sein, damit im Ballenbereich genug Platz bleibt und die Ferse nicht zu hoch kommt (sonst kommt es häufig zum Schlupfen). Carbon ist natürlich optimal, es gibt aber auch gute dünne Kunststoffeinlagen. Bedenkt dass eine Quergewölbestütze euren Fuß wieder schmaler und dafür höher macht.
Grundsätzlich können die Gewölbestützen auch fest in den Schuh eingearbeitet werden, dadurch kann man natürlich auch Platz einsparen. Allerdings wird das von der Krankenkasse nicht mehr bezahlt.
Aber mit konfektionierten Gewölbestützen, die mit doppelseitigem Klebeband befestigt werden, kann man zumindest mal ausprobieren, wie sich die Passform verändert durch so eine eingearbeitete Einlage (und wenn die Probleme nicht allzugroß sind reicht das häufig auch schon).
Wie auch immer: Ganz wichtig ist die Kommunikation mit dem Orthopädieschuhmacher. Sagt ihm in was für Schuhen ihr die Einlagen tragen wollt, bringt sie am besten mit. Sagt ihm was ihr euch erhofft und lasst euch eine Mustereinlage zeigen. Versucht ein Gefühl dafür zu bekommen, ob der Kollege zur Masse statt Klasse Fraktion gehört oder nicht. Die Verwendung von Rohlingen heisst nicht, dass eure Einlage nicht individuell angepasst ist, entscheidend ist, was passiert nachdem der Rohling aus der Kiste geholt wird.
Das wars von mir. Wenn ihr noch Fragen habt, stellt sie gerne hier. Wenn es um orthopädische Probleme geht, versuche ich mein Bestes, aber auf die Entfernung und ohne mir den Fuß angesehen zu haben, ist das manchmal schwierig. Wenn ihr eure medizinischen Probleme nicht öffentlich diskutieren wollt, könnt ihr mir gern auch eine PN schreiben.
Schönen Gruß
mit etwas Verspätung kommt jetzt mein versprochener Beitrag. Ich warne schon mal vor, dass er etwas länger wird. Wenn ich mal ins schwafeln komme, finde ich kein Ende
Der Beitrag soll mehrere Themen bearbeiten. Zum einen die aktuelle wirtschaftliche und technische Entwicklung der Branche und zum anderen die beiden häufigsten Fußdeformitäten, ihre Auswirkungen auf die Passform und eventuelle Gegenmaßnahmen.
Die wirtschaftliche Entwicklung der Branche wird beeinflusst durch zwei Faktoren: 1. Alterung der Gesellschaft = mehr Kundschaft, grundsätzlich nicht schlecht, aber in unserem Zusammenhang eher nebensächlich.
2. Die Preispolitik der Krankenkassen. Die ist inzwischen zum Teil echt nicht mehr fair. Alle paar Jahre mal ne Preiserhöhung, die dann kaum die Inflation ausgleicht. Die letzte Änderung der Einlagenpreise hat die Preise sogar real gesenkt. Die Grundpreise wurden zwar um ein paar Euro angehoben, dafür aber eine ganz wichtige Position abgeschaft, nämlich der Abdruck. Diese Position war im Grunde diejenige, mit der wir als Schuhtechniker auch unseren Beratungsaufwand etwas abfangen konnten. Bei schweren Fällen, wo man eine Stunde lang berät bringen die 15€ für den Abdruck auch nichts mehr, aber im Normalfall dauert so ein Beratungsgespräch inkl. Abdruck nehmen 20-30 min.
Diese schwierige Preisgestaltung führt letzen Endes zu zwei Reaktionsmustern. Die einen Kollegen machen Masse statt Klasse (Einlage aus der Schublade), die anderen gehen den anderen Weg, investieren viel in Beratung und Qualität und sind dann aber gezwungen saftige wirtschaftliche Aufschläge zu nehmen (d.h. eine Zuzahlung über den gesetzlichen Eigenanteil von max. 10€ hinaus). Dabei sind 20-30€ Zuzahlung heutzutage üblich und es geht auch hoch bis auf 100€ bei einigen Kollegen.
Der Vorteil ist - und damit wären wir bei der technischen Entwicklung - dass man technisch auf der Höhe der Zeit sein sollte um solche Aufzahlungen zu rechtfertigen.
In den letzten Jahren hat sich sowohl im Bereich der Herstellungsverfahren, als auch im Bereich der Materialien einiges getan. So ist heute CAD/CAM Fertigung von Einlagen in vielen Betrieben Usus (leider wird trotzdem häufig eine Standard Einlage gefräst anstatt die Möglichkeiten zu nutzen und die Einlage direkt am PC individuell anzupassen). 3d Scanner sind auch schon weit verbreitet und einige Kollegen arbeiten bereits mit 3d Druckern.
Materialseitig hat sich vor allem im Bereich der Polstermaterialien viel getan. Man kann heute mit deutlich dünnerem Polster dieselbe Entlastung erzielen wie vor 10 Jahren mit einem dicken Polster. Nichtsdestotrotz gilt die Regel weich=dick. Ein Polster sollte schon einige mm Stärke haben, damit es wirksam sein kann und damit wird es im Bereich der hochwertigen LEderschuhe schon schwierig.
Dafür haben wir ein anderes Material mit dem sich Platz einsparen lässt: nämlich Carbon. Damit lassen sich schon mit einem 1-1,5mm dicken Laminat Festigkeiten erreichen, für die man früher eine massive Korkledereinlage gebraucht hat. Leider hantieren nur wenige Kollegen effektiv mit Carbonmaterialien. Häufig wird damit zwar geworben, aber es handelt sich dann lediglich um Carbonoptik oder ähnliches.
Kommen wir zu den Fußproblemen:
Die Volkskrankheiten hier heißen eindeutig Spreiz- und Knick(Senk)fuß, gerne auch in Kombination. Bei beiden handelt es sich letztlich um Erschöpfungserscheinungen des Bandapparates, der unsere Fußgewölbe verspannt.
Beim Spreizfuß sinkt das Quergewölbe ab dass sich hinter den Köpfen der Mittelfußknochen (MFK) aufspannt. während normalerweise nur der inner und äußere MFK-Kopf die Hauptbelastung tragen, werden beim Spreizfuß auch die mittleren Köpfen verstärk in die Belastung einbezogen, was zu Schmerzen, Schwielen und letztlich zu Entzündungen führen kann. Zusätzlich wird der Fuß im Ballenbereich breiter und flacher.
Versorgung: Einlage mit Quergewölbestütze und - wenn denn Platz im Schuh ist - Polsterung. Wenn eine Entzündung vorliegt, sollte man auf jeden Fall mit Polsterungen arbeiten. Notfalls muss man mal ne Zeitlang Turnschuhe o.Ä. tragen, bis die Entzündung abgeheilt ist. Alternativ kann man eine Schuhzurichtung vornehmen lassen. Dabei wird im Bereich der MFK ein Loch in Brand und Laufsohle geschnitten, mit Polster aufgefüllt und eine neue Laufsohle draufgemacht. Möchte man wahrscheinlich bei Schuhen wie wir sie tragen gerne vermeiden, ist aber immer noch besser, als wenn die Schuhe nur noch im Schrank stehen, denn häufig werden die Schmerzen chronisch.
Der Knick-Senkfuß beinhaltet eine Absenkung des Längsgewölbes ist häufig gar nicht schmerzhaft, führt aber später zu Arthrose durch Fehlbelastung. Passformtechnisch stellt diese Deformität ein Problem dar, weil das Fersenbein schräg steht (nach innen abgekippt). Damit wird ein guter Sitz im Fersenbereich natürlich zum Problem. auch hier schaffen Einlagen mit Längsgewölbestütze abhilfe, solange der Fuß nicht kontrakt, also noch korrigierbar ist.
Die Einlagen sollten natürlich möglichst dünn sein, damit im Schuh noch genug Platz verbleibt. Normalerweise empfehle ich langsohlige Einlagen, weil so ein umherrutschen im Schuh vermieden wird. Bei hochwertigen Lederschuhen ist manchmal aber schon 1-1,5mm zu viel, weshalb dann auch kurzsohlige Einlagen Sinn machen. Sie sollten so flach wie möglich sein, damit im Ballenbereich genug Platz bleibt und die Ferse nicht zu hoch kommt (sonst kommt es häufig zum Schlupfen). Carbon ist natürlich optimal, es gibt aber auch gute dünne Kunststoffeinlagen. Bedenkt dass eine Quergewölbestütze euren Fuß wieder schmaler und dafür höher macht.
Grundsätzlich können die Gewölbestützen auch fest in den Schuh eingearbeitet werden, dadurch kann man natürlich auch Platz einsparen. Allerdings wird das von der Krankenkasse nicht mehr bezahlt.
Aber mit konfektionierten Gewölbestützen, die mit doppelseitigem Klebeband befestigt werden, kann man zumindest mal ausprobieren, wie sich die Passform verändert durch so eine eingearbeitete Einlage (und wenn die Probleme nicht allzugroß sind reicht das häufig auch schon).
Wie auch immer: Ganz wichtig ist die Kommunikation mit dem Orthopädieschuhmacher. Sagt ihm in was für Schuhen ihr die Einlagen tragen wollt, bringt sie am besten mit. Sagt ihm was ihr euch erhofft und lasst euch eine Mustereinlage zeigen. Versucht ein Gefühl dafür zu bekommen, ob der Kollege zur Masse statt Klasse Fraktion gehört oder nicht. Die Verwendung von Rohlingen heisst nicht, dass eure Einlage nicht individuell angepasst ist, entscheidend ist, was passiert nachdem der Rohling aus der Kiste geholt wird.
Das wars von mir. Wenn ihr noch Fragen habt, stellt sie gerne hier. Wenn es um orthopädische Probleme geht, versuche ich mein Bestes, aber auf die Entfernung und ohne mir den Fuß angesehen zu haben, ist das manchmal schwierig. Wenn ihr eure medizinischen Probleme nicht öffentlich diskutieren wollt, könnt ihr mir gern auch eine PN schreiben.
Schönen Gruß