Klassische Kleidung = konservative Sturköpfigkeit?

In der Tat ein interessanter Artikel, und die bereits erwähnte Unterscheidung zwischen Pflicht (=Korrektheit) und Kür (=?, dazu gleich mehr) macht sicher Sinn; der in anderen Foren als manton und als Buchautor unter M. Antongiavanni bekannte amerikanische Stilkritiker hat das ja vergleichbar in seinem Buch "The Suit" sehr schön in die zwei komplementären Dimensionen "Formality" und "Dandification" eingeteilt.

Meine Schwierigkeiten habe ich einmal wieder mit den Schlußfolgerungen des Artikel-Schreibers, der diese Angelegenheit ja recht offenkundig aus der Perspektive "Mode" betrachtet, und das Befolgen saisonaler modischer Diktate mit der gelungenen Kür weitgehend gleichsetzt. Insbesondere seine Ausführungen über den notwendigen Mut, den es brauche, derartige Moden mitzumachen, halte ich für mäßig überzeugend. Meines Erachtens benötigt es doch mindestens ebensoviel Mut, einer einmal gewählten, nein, gefundenen persönlichen Linie treu zu bleiben, auch wenn das anderen vielleicht als konservativ, und damit in manchen Kreisen negativ, auffallen würde.

Der zum Ende des Artikels beinahe unvermeidlich angeführte Herzog von Windsor illustriert dieses Argument wunderbar: Er folgte nicht Modetrends, er schaffte sie durch die Kombination aus individuellem Stilbewußtsein und hoher Öffentlichkeitswirkung.

dE
 
Der beste Satz ist dieser hier:

"Nicht Risikominimierung ist das Gesetz des gut gekleideten Mannes, sondern Trial and Error."

Den Rest kann man lesen, muss man aber nicht für bare Münze nehmen.
 
hmm ... wenn ich mir die aufkeimende "super-schlim-fit-mode" (min. 2 Grössen zu klein kaufen!) und deren geKÜRten Nachmacher so anschaue deucht mir, dass Mut und Unvermögen in diesem Falle Hand in Hand über die Strasse des Konsumes schreiten ...

nix für ungut, aber nicht jeder aktuelle Modetrend ist zum küren einer Pflicht geeignet.

gruß
HD
 
Den eigenen Stil zu finden ist, zumindest habe ich den Artikel so verstanden, ist die Kür bei der Auswahl der eigenen Kleidung
und nicht das starre Befolgen irgendwelcher Bekleidungsregeln à la Möchtegern-Gentleman, gleich wie man selbst damit wirkt/ausschaut oder darin/damit auf den Betrachter wirkt.
...
Mann sollte mit den Lippen nicht an jedem einzelnen Wort dieses Artikels kleben....das wäre mal wieder zu deutsch!

Lieber Gast,

mit Ihrer Interpretation des Artikels stimme ich voll und ganz überein, allerdings habe ich zumindest die zweite Hälfte desselben nicht so verstanden.

Was das Allzu-Deutsch-Sein in der Lesart angeht, müssen wir Deutschen in diesem Forum uns wohl damit abfinden, daß sprezzatura wohl nicht ein bestimmender Teil unseres Erbguts ist ...und die mittlerweile schon gebetsmühlenartig vorgetragene Glorifizierung selbiger sprezzatura in diesem und anderen Foren wohl eher als quod erat demonstrandum dieses deutschen Charakterfehlers angesehen werden muß.

Herzliche Grüße

dE
 
"David" hat allerdings sicher nicht die Bügelfalte in der Hose erfunden. Aber halb so schlimm. Das kommt eben davon, wenn man jedem Trend folgt, immer nur die neuesten Filme sieht, nie etwas anderes als zeitgenössische Kunstausstellungen besucht und lebende Schriftsteller gelesen hat sowie die Beatles ignoriert.

Daß der Zweireiher wieder als Möglichkeit aufgeführt wird, erlaubt sogar mit breitem Revers (!), ist zumindest positiv zu werten. Vielleicht bleibt diese Information bei unseren Managern ja hängen!
 
Interessante Diskussion, die wir in etwas abgewandelter Form ja schon mal hatten und die m.E einer Begriffsbestimmung bedarf. Was ist "klassisch/typisch deutsch"? Was ist "konservativ"? Ich wüsste darauf (leider) keine Antwort.

Ich kann mir den "typisch klassisch italienisch" und den "typisch klassisch britisch" gekleideten Mann vorstellen und das Klischee skizzieren - wohlwissend, daß nicht alle so aussehen.

Aber was ist "typisch deutsch"? "Typisch deutsch" ist für mich -leider- der Hang zur Bequemlichkeit, Schnelligkeit und Austauschbarkeit: Boss-Anzug im Schlussverkauf von Frauchen gekauft, Ecco-Schuhe und Kurzarmhemd. Wenn es dann in den Gehaltsklassen nach oben geht, gilt oft (nur) der Grundsatz "Hauptsache teuer." Mir fällt also kein "common sense" ein - und somit auch nichts, wovon man positiv oder negativ abweichen oder eine "Kür" absolvieren kann.

Ebenso diskussionsbedürftig ist der Begriff "konservativ". Ein Fahrer eines silbernen Jaguars hat sicherlich eine "konservative" Wahl getroffen - ein Opel Astra-Fahrer aber auch. "Konservativ" ist eben auch oft synonym für bieder und damit negativ besetzt. Ist beispielsweise ein Grimod jetzt "konservativ"? Oder ist er gerade durch seine Kleidungswahl ein Non-Konformist und Avantgardist?
 
(...) Meines Erachtens benötigt es doch mindestens ebensoviel Mut, einer einmal gewählten, nein, gefundenen persönlichen Linie treu zu bleiben, auch wenn das anderen vielleicht als konservativ, und damit in manchen Kreisen negativ, auffallen würde. (...)

dE

Gefällt mir sehr gut, dieser Satz. Und wenn ich mir dieses Bild so anschaue fühle ich mich in meiner Linie sehr bestätigt. Sie mögen Altmodisch sein, meine Anzüge, aber passen tun sie dafür wenigstens.

lg Algy

Quelle: http://www.manager-magazin.de/life/mode/0,2828,grossbild-2193119-681787,00.html
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
Jedem seine eigene Krise...

Ich kann mit der Beliebigkeit der Begrifflichkeiten, den Analogien und den Holzschnitt-Schlußfolgerungen des Autors wenig anfangen.
Krisendiagnostik samt Lösungsvorschlag ist natürlich erste Beraterpflicht und en vogue -
aber meiner Meinung nach darf Stildiskussion auch unterhaltsam sein und nicht als plumpe Überinterpretation daher kommen:

klassisch = konservativ = neutral ?
Ein irgendwie modischer Anzug-Schnitt als Ausdruck von ZeitGeistMobilität wider irgendeinen Stillstand ?

Und plötzliche, neue Anzugsilhouetten und endlich Flatfront oder gar mehrere Bundfalten - da muss der Männermut nur noch zugreifen. :D
 
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