Mein Beitrag bezog sich ebenfalls auf die genannte Diskussion und die jeweiligen Bezeichnungen, Unterschiede (Hersteller/Label) und insbesondere die vorhandenen Vorstellungen bei denjenigen, die vielleicht noch nicht alle möglichen Konstruktionen und (Verarbeitungs-)Kombinationen in Händen hielten bzw. getragen/anprobiert oder gar von innen begutachten konnten.
Es gibt hier im Forum diverse Beiträge, die mit den o.g. Schlagworten 'fused', 'vollverklebt' und 'half-canvassed' o.ä. versehen sind und entweder konstatierend sozusagen ein Anbieter-Portfolio einordnen oder auch meinungsstark mit weiteren Begrifflichkeiten wie 'Atmungsaktivität', 'Tragegefühl' oder 'Industrie-/Labelschrott' kombiniert werden.
Bei genauerem Hinsehen fehlt mir bei vielen dieser Beiträge das Differenzierende, dazu die konkrete relative persönliche Einschätzung/Vergleich (am besten auf Erfahrung beruhend) -
es ändert sich ja doch recht viel bei den Herstellern und bekanntlich gibt es erhebliche Unterschiede in der industriellen Fertigung, die meiner Ansicht nach schlichtweg nicht pauschal/verkürzend/whatever als "billiger, schneller, industrielle Abkürzung" zu bezeichnen sind ?
Mal ein paar Anmerkungen zu den kürzlich genannten Herstellern und einige allgemeinere Betrachtungen:
- bei einigen kürzlich der Kleiderspende übergebenen Sakkos/Anzügen meines Opas fand sich auf dem Material-/Pflegeetikett die Bezeichnung 'frontfixiert' oder 'teilfixiert':
wäre eine entsprechende Kennzeichnung bei den typischen und in dieser Weise vermarkteten Half Canvas-Produkten, aufgrund des (fast) die gesamte Frontfläche des Sakkos bedeckenden Klebeliners, ebenfalls angemessen ?
- oben wurde der Hersteller Boglioli genannt:
von denen stammt eines meiner Lieblingssakkos aus Loro Pianas Cashpima, ungefüttert, eine Lage Canvas im Brustbereich, Klebeliner auf Reversrückseite und im Frontbereich und seitlich etwa bis Abnäher (vgl. die obige Skizze).
Natürlich rollt bei diesem Dreiknopfsakko das Revers sehr schön '3 roll 2' auf den mittleren Schließknopf und diese 'Linie' läuft entsprechend in die Abstichrundung aus. Das oberste Reversknopfloch findet sich dezent-klassisch im Revers und ist somit weder auffällig 'umgebügelt' (vgl. Brooks Brothers), noch modisch-auffällig und rückseitig gesäumt (wie bei meinem Borrelli '1957' Cordsakko) bzw. der offensichtlichen Ausstattungsoption bei SuSu-MTM.
Dieses tolle Sakko ist somit nach Quasi-Klassifizierung 'Geklebt'.
Wird aber als Supertrumpf noch zig Jahre in meiner Garderobe verbringen, währendessen (in Saison&Trend-Zeiten gemessen) hunderte und tausende von Kleidungsstücken im Forum ihre spezifische "Rotation" von Ankauf/Fehlkauf/Verkauf erleiden...
- von Boglioli gab und gibt es auch diverse herstellertypisch wenig oder sog. 'unkonstruierte Sakkos', die insbesondere aus (relativ) kräftigeren Baumwollstoffen oder Gewebemischungen bestehen. Die ungefütterten aktuellen Exemplare kann sich jeder bei Eckerle anschauen, anziehen und mal von innen betrachten/fühlen:
wohl ganz überwiegend erkennt man lediglich den Oberstoff ohne rückwärtigen Klebeliner und auch nicht im Revers, in Schulter und Brustplack-Region findet sich einlagentechnisch entweder kaum etwas oder nichts.
Nach Quasi-Klassifizierung somit weder 'Canvas Irgendwas' noch 'Geklebt', am ehesten 'Unkonstruiert wie eine M65-SchimanskiJacke' (oder so ähnlich)...
- neulich kam die Frage nach einem unkonstruierten Leinenanzug auf und es gab interessante Aspekte zu dem verklebten Liner bei Half Canvas, dessen Materialbeschaffenheit/Ausdehnung oder seine 'Atmungsaktivität' und diesbezügliche Relevanz vs. Rücken/ungefütterte Konstruktion.
Ich habe dann mal einen Blick in mein ungefüttertes Leinensakko von PRL/Corneliani geworfen und hier fand sich:
kompletter Oberstoff ohne Klebeliner, eine Lage Canvas im Brustbereich, in der Revers-Rückseite eine sehr dünne Leukosilk-ähnliche Einlage.
Nach Quasi-Klassifizierung eindeutig nicht 'Geklebt', vielleicht 'Half Geklebt' oder 'Revers Geklebt'... ?
- oben war Dressler genannt, aktuell kenne ich weder deren MTM-Möglichkeiten oder ggf. verschiedene Produktlinien.
Mein früherer Eindruck beinhaltete nur die gängigen 'Büroanzüge' von P&C in den dort verfügbaren ca. 2,5 Farben - aber nachdem ich mal die doch recht ansehnlichen Glencheck-Flanellanzüge gesehen habe (teilweise als Exklusiv Design gelabelt), ist der Eindruck ein anderer.
Hier gab es ein Topic, in dem die strukturellen Ähnlichkeiten anhand eines Besuchs beim Änderungsschneiders thematisiert wurden und letztendlich in wiederholter Erwähnung des 'pikierten SuSu-Revers vs. geklebtem Dressler-Revers' endeten:
da würde ich dann eher wenig drauf geben, wenn es sich um so ziemlich genau den Glencheck handelt, denn man eigentlich immer in seiner Garderobe haben sollte und dessen Langlebigkeit und stilistisch vielfältiger Einsatz durchaus DER Kaufgrund sein können...
Soweit einige Aspekte hinsichtlich der vorherigen Diskussion.
Vom Pfingstbasar kann ich als Entdeckungen noch von einem sehr schönen Gucci-Sportsakko berichten, das durch die Logo-Knöpfe und jeweils 5 davon am Ärmel optisch beeinträchtigt wurde - es stellte sich aber als von Caruso produziertes Full Canvas heraus. Ebenso Full Canvas gab es ein relativ schweres Vintage-Sakko von C & A, der Labelschrift nach den 60er Jahren entstammend und mit der Bezeichnung "Formtreu" wohl keine Mogelpackung...
Dann fand sich noch ein Sakko der Marke "Kaiser Design Tailored", diese kannte ich gar nicht und das Label existiert wohl auch nicht mehr - die Half Canvas-Konstruktion konnte man aber bestens fühlen.
Conclusio: es ist ein weites Feld hinsichtlich der Klamotten-Konstruktion in Tradition, (technischer) Neuerung, Varianz... und es gibt einiges zu entdecken, wenn man sich etwas genauer auskennt bzw. mit den Details beschäftigt.