Zu schön

Es gibt eine italienische Redewendung, die man so übersetzen könnte: „Wenn es nicht wahr ist, ist es schön erfunden.“ Das trifft auf viele Legenden zu, die sich im Laufe der Zeit zum Thema Mode gebildet haben. So wird immer wieder behauptet, dass britische Gentlemen früher ihre Schuhe vom Butler eintragen ließen. Dies erscheint schon nach kurzem Nachdenken recht widersinnig. Die Betuchten trugen früher in der Regel Maßschuhe und die von jemand anders eintragen zu lassen, wäre absurd.

Eine andere Legende besagt, dass englische Schneider ihre Kunden beim Maßnehmen fragen, ob sie „nach links“ oder „nach rechts“ tragen. Ein „cutter“ erklärte mir dazu, dass bei den eher weit bemessenen Beinkleidern klassischen Zuschnitts in jedem Fall genug Raum vorgesehen wird und zwar in alle Richtungen. Sinnvoll wäre die Nachfrage nur bei extrem engen Hosen und die werden so gut wie nie in der Schneidermeile gefertigt.

Amüsant finde ich auch die immer wieder von neapolitanischen Manufakturen und deren Fans vorgebrachte Behauptung, dass sich handgemachte Anzüge an den Körper des Trägers anpassen (aber nur, wenn sie aus Neapel stammen). Eine Jacke von der Stange verwandelt sich also von selbst in ein perfekt passendes Teil. Schön wär’s, doch der südländische Glaube an Wunder strapaziert die Physik hier doch ein wenig zu sehr. Fakt ist: Handnähte sind zwar tatsächlich flexibler als Maschinennähte, die Grundpassform von Sakko oder Hose ändert sich dadurch aber nicht. Dennoch Kompliment für diese Legende: Schön erfunden und immerhin nicht komplett verkehrt.

Kategorie: Magazin

Bernhard Roetzel

Bernhard Roetzel schreibt über Herrenmode und verschiedene Stilfragen. Der Bildband "Der Gentleman. Handbuch der klassischen Herrenmode" ist seine bekannteste Publikation, sie liegt in fast 20 Übersetzungen vor.

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