Zu Besuch bei Michael Jondral in Hannover

Zugegeben, meine Erwartungen waren durchaus hoch. Als ich kürzlich auf dem Weg zum Ort dieses Berichts im Zug von München nach Hannover saß, stellte ich mich, angestachelt von Beschreibungen meiner Bekannten und Freunde, darauf ein, nicht mehr und nicht weniger, als den frischesten Herrenausstatter Deutschlands zu sehen. Beim Betreten des Geschäftes in der Karmaschstraße macht sich dann als erstes Erstaunen breit. Zunächst jedoch gar nicht ob der angebotenen Produkte oder der Einrichtung. Die Größe allein, oder sollte man besser sagen: die Nicht-Größe, dieses Ladens überraschte sicher nicht nur mich. Wenn jemand die Vorzüge eines Weitwinkelobjektivs zu schätzen weiß, dann ist es jedenfalls Jondrals Fotograf, der die Aufnahmen auf seiner Internetseite verantwortet.

Natürlich tut eine kleine Ladenfläche dem gelungenen Einkaufserlebnis keinen Abbruch, vielerorts entsteht eine angenehme Shopping-Atmosphäre gerade auf beengtem Raum. Genau so verhält es sich dann auch hier. Die wenigen Quadratmeter —“Vor dem Umzug im Jahr 2009 war noch viel weniger Platz“, verrät Michael Jondral— weiß der Inhaber mit umso überzeugenderen Produkten effektiv und luxuriös zu füllen. Anzüge von Caruso, Stile Latino und Cesare Attolini, Hosen von Valentini, Hemden von Barba und Finamore, dazu Krawatten von Petronius und Tie your Tie bilden den Kernbestand des Warenlagers. Dazu findet der Kleidernarr Schuhe von St. Crispin’s, Dieter Kuckelkorn und —ganz neu— Zonkey Boot. Sportswear von Fay, PT01 und Stone Island rundet das Sortiment ab. „Wir haben auch eine Jeans, aber das ist eher so ein Gelegenheitsprodukt“, schmunzelt der Inhaber und greift, wie um die Verarbeitung zu prüfen, in einen Stapel Hosen von Jacob Cohen.

Während der vordere Bereich des lichtdurchfluteten Erdgeschosses vor allem mit Freizeitmode und Basics von Stile Latino (übrigens das Produkt eines Sprosses des Attolini-Clans) bestückt ist, birgt eine Nische im hinteren Teil den ganzen Stolz des jungen Unternehmens: Das „Attolini-Ankleidezimmer“, wie der Hausherr den im Fluchtpunkt des Interieurs stehenden Bereich nennt. Unweigerlich verändert sich Jondrals Tonfall, als er mich an den liebevoll dekorierten Auslagen und Tischchen entlangführt und lässt keinen Zweifel daran, dass man hier großen Respekt vor den Produkten und der Arbeit des Familienunternehmens aus Neapel hat. Neben ausgesuchten Teilen der aktuellen Kollektion erhält der finanziell gutgestellte Kunde hier auch in regelmäßigen Abständen und anlässlich eigens organisierter Events Maßkonfektion des Hauses — garniert selbstverständlich mit erlesenen Weißweinen und kulinarischen wie akustischen Leckerbissen. Bereits vermessene Kunden können natürlich jederzeit bei Michael Jondral nachbestellen.

„Wir wollen hier nicht einfach nur verkaufen. Für uns zählt das Gesamterlebnis und wir hoffen, dass unsere Kunden diese Philosophie an uns mögen. Man könnte das, was wir uns zu schaffen bemühen, vielleicht einen Gesamthort des guten Geschmacks nennen.“ Dass diese Worte mehr als nur leere Hülle sind, beweist die elegant möblierte Lounge, in die eine Treppe zwischen der Attolini-Ecke und der kleinen Damenkollektion (unter anderem hängt dort, wie sollte es anders sein, Attolini Donna) des Hauses führt. Sie liegt direkt über dem Verkaufsraum. Neben einem von der Laufkundschaft getrennten Anproberaums beherbergt sie eine geschmackvolle Bibliothek (der Mix aus politischer, schöngeistiger und Modeliteratur passt genau ins Konzept des Hauses) und wechselnde Kunst an den dunklen Wänden. In einen der Polstersessel versunken lässt sich dort bei einem Glas Champagner bequem die ein oder andere Stunde vertreiben.

Der Weg zurück nach unten führt mich an einem Tisch mit wenigen, dafür aber alles andere als verbreiteten Düften für Sie und Ihn vorbei. Wie überall liegt auch hier das Augenmerk auf handwerklicher Perfektion und Exklusivität. Außerdem auffällig zahlreich vertreten: Strickkrawatten verschiedener Hersteller und Strümpfe von Sozzi Calze. Àpropos Krawatten: Während meines geführten Rundgangs durch die Räumlichkeiten traf eine frische Lieferung des Krawattenlabels Petronius ein — zur großen Freude aller Anwesenden. Für Michael Jondral und, ich gebe es gerne zu, auch für mich gab es kein Halten mehr. Jedes Modell musste ausgiebig begutachtet, umgebunden und dessen Kombinierbarkeit diskutiert werden. So viel Leidenschaft zum Beruf und Liebe fürs Produkt sind in dieser Branche heute sicherlich keine Selbstverständlichkeit mehr.

Michael Jondral betreibt sein Geschäft für Herrenmode zwar erst seit 2007. Das hindert ihn allerdings nicht daran, bereits jetzt eine Einkaufswelt zu schaffen, die die Brücke zwischen traditionellem Herrenausstatter und urbanem Modemekka spielend zu schlagen weiß. Meine hohen Erwartungen kann man jedenfalls guten Gewissens als erfüllt bezeichnen.

Kategorie: Herrenausstatter

Florian S. Küblbeck

Florian S. Küblbeck ist freier Journalist und schreibt vor allem über Mode, Stil und Genuss. Mit seinem Erstwerk "Was Mann trägt: Gut angezogen in zwölf Schritten" gab er 2013 sein Debüt als Buchautor.

Kommentar schreiben