Welche Erwartung habt ihr an einen lokalen Herrenausstatter?

Andreas Gerads

Stilmagazin-Inhaber
Als ich heute unsere Übersicht deutscher Herrenausstatter aktualisiert habe, da kam mir ein Gedanke: Die ganze Branche der Herrenausstatter unterliegt aktuell einem Wandel. Alt eingesessene Geschäfte verschwinden vom Markt, werden zum Teil durch Shop-Ketten (Bsp. Cove), hersteller-eigene Geschäfte (Bsp. Van Laack), oder Online-Shops ersetzt. Ein paar wenige halten sich, aber meist eher schlecht als recht und die Frage ist eigentlich nur wie lange sie sich noch halten können.

Schon bei mir selbst kann ich beobachten, dass ich einen Großteil meines Bedarfs online decke, selbst Hemden bestelle ich bei Tailorstore als "Maß-Kopie" eines gut sitzenden Maßkonfektionshemdes.

Mich würde mal interessieren: Diejenigen unter euch, die überwiegend offline einkaufen und das in Zukunft auch noch bei einem Einzelhändler tun wollen (nicht bei einer Kette), welche Erwartung habt ihr in Zukunft an einen lokalen Herrenausstatter. Wollte ihr die maximale Auswahl, wollt ihr es möglichst billig, oder habt ihr eine ganz andere Erwartung?

Wenn ich heute einen Herrenausstatter starten würde, so richtig wüsste ich nicht was die Kunden wollen....
 
Schwieriges, wenn auch sehr interessantes Thema....

Ich wünsche mir von einem Herrenausstatter eine Atmosphäre wie in der Savile Row, Beratung wie bei einem guten Freund und trotzdem angemessene Preise.

Meiner Meinung nach ist Beratung in der heutigen Zeit DAS Unterscheidungsmerkmal zum Einkauf im Netz oder bei Ketten. Ich habe im Einzelhandel gelernt und dort 17 Jahre verbracht; ich bin immer wieder erschüttert, wie ich heute z.T. bedient werde..:mad:

Das Einkaufen hochwertiger Bekleidung muss wieder zum Erlebnis werden, ich möchte, das mein Verkäufer mich wiedererkennt und mit Namen anspricht. Ich will ihm treu bleiben und nicht immer neu erklären müssen, was mein Stil ist. Ich erwarte Fachkenntnis und Diskretion.
Ich weiß, das klingt etwas gestrig - aber träumen darf ich doch, oder....?;)
 
Schwieriges, wenn auch sehr interessantes Thema....

Ich wünsche mir von einem Herrenausstatter eine Atmosphäre wie in der Savile Row, Beratung wie bei einem guten Freund und trotzdem angemessene Preise.

Meiner Meinung nach ist Beratung in der heutigen Zeit DAS Unterscheidungsmerkmal zum Einkauf im Netz oder bei Ketten. Ich habe im Einzelhandel gelernt und dort 17 Jahre verbracht; ich bin immer wieder erschüttert, wie ich heute z.T. bedient werde..:mad:

Das Einkaufen hochwertiger Bekleidung muss wieder zum Erlebnis werden, ich möchte, das mein Verkäufer mich wiedererkennt und mit Namen anspricht. Ich will ihm treu bleiben und nicht immer neu erklären müssen, was mein Stil ist. Ich erwarte Fachkenntnis und Diskretion.
Ich weiß, das klingt etwas gestrig - aber träumen darf ich doch, oder....?;)

+1 (Savile Row erwarte ich nicht, aber dem Rest stimme ich voll zu.)
 
Auch ich halte Beratung für das absolute K.O.-Kriterium. Ich weiß, auch aus eigener Erfahrung (in ganz anderer Branche), dass es als Verkäufer durchaus nervtötend sein kann, zu versuchen, mehr oder weniger unwissenden Kunden immer wieder die gleichen Grundlagen zu vermitteln und sich selbst immer auf dem Laufenden zu halten - aber: Das ist aus meiner Sicht - außerhalb von zeitkritischen "Not"-Situationen - der einzige Grund, überhaupt noch Ladengeschäfte zu frequentieren.
"Beratung" sehe ich hier aber etwas utilitaristischer als es andere vielleicht tun mögen. Ich erwarte nicht unbedingt ein Luxus-Gesamtpaket mit persönlicher Ansprache, Kaffee, stundenlanger Shopping-Begleitung, etc. (das mag aber auch daran liegen, dass ich Student bin und demnach weder besonders reich bin, noch auf eine lange Shopping-Erlebnis-Erfahrung zurückblicken kann). Wichtig wären mir schlicht sachkundiges, höfliches Verkaufspersonal, das von sich aus bereit ist, angemessen ausführliche und in die Tiefe gehende Beratung zu geben und das nicht ganz offensichtlich nur auf Verkaufen um jeden Preis aus ist, sondern den Wünschen und dem Geldbeutel des Kunden entgegenzukommen versucht.

Ein abschreckendes Beispiel habe ich bei meinem Mitbewohner erlebt: Der Gute brauchte einen Anzug für alle möglichen Zwecke (sein einziger), zog los und hat von einem eher kleinen Herrenausstatter - bei dem ich instinktiv erstmal davon ausgegangen wäre, dass die Beratung besser ist als in Ketten o.Ä. - einen mäßig passenden Halb-Polyster-Anzug in schwarz mit Nadelstreifen mitgebracht, mit dem er laut Verkäufer "für jeden Anlass gut angezogen" sei. Nunja - immerhin weiß ich jetzt, dass ich den Laden nicht betreten werde. So macht man sich doch einfach nur selbst das Geschäft zunichte - klar, an meinem Mitbewohner mit schmalem Geldbeutel wäre erstmal so oder so nicht übermäßig viel verdient gewesen, aber: Wäre er begeistert von der Beratung und mit einem angemessenen Anzug nach Hause gekommen, hätte ich sicher auch einmal in den Laden geschaut, wir hätten ihn beide weiterempfohlen und wären ihm vielleicht auch langfristig treu geblieben - man bleibt ja nicht für immer Student.

Um das Thema auch noch auf andere persönliche Erfahrungen zu übertragen, die ich oben schon einmal angedeutet hatte: Als einen meiner Nebenjobs habe ich u.A. mal als Verkäufer für Motorradzubehör und -bekleidung gearbeitet. Was man da verkauft, ist zwar weniger schick als Herrenmode, dafür eindeutig sicherheitskritischer und potenziell lebensrettend für die Kundschaft. Was den finanziellen Aspekt angeht, herrscht wohl eine gewisse Vergleichbarkeit: In beiden Branchen gibt es viele kleinere Einkäufe über ein weites Spektrum von Produkten, zu denen Beratung benötigt wird und zwischendurch kommen immer wieder wirklich dicke Fische, die bis zu mehrere tausend Euro liegen lassen. Entsprechende Sorgfalt kann man auch vom Verkäufer erwarten - sollte man meinen. Die Realität sieht leider anders aus - man findet hier mehr als genug schlecht bezahltes, mäßig motiviertes und noch viel mäßiger begabtes Verkaufspersonal - fürchterlich. Wie immer steht und fällt das m.E. mit dem Chef - wer wie mein damaliger (und die von diversen anderen Shops, die mir bekannt sind) primär Wert auf für einen Hungerlohn arbeitende Leute legt, der wird bestenfalls durch Zufall ein, zwei Enthusiasten wie damals mich und eine Kollegin an Land ziehen, die gut arbeiten und die dann auch im Gedächtnis der Kunden bleiben und zu denen sie persönlich und spezifisch zurückkommen, wenn neue Käufe anstehen.
Intensivere Auswahl von Verkäufern, regelmäßige Schulungen (die ja nicht unbedingt teuer sein müssen, oft kann man so etwas über die Hersteller ja kostenlos oder günstig bekommen oder auch selbst organisieren), regelmäßiges Feedback in beide Richtungen und eine halbwegs sinnvolle Entlohnung - kurz: Engagement seitens des Chefs - und schon hat man m.E. eine brauchbare Basis. Das scheinen viele aber nicht zu wollen oder zu verstehen.
 
Ich fände es sehr ansprechend, wenn vermehrt wieder die Herrenausstatter back to the rules kommen. Also im Klartext:
-Zuverlässige Verkäufer die den Kunden Zeit geben sich umzusehen.
-Gerne ein leicht verstaubtes/antikes Erscheinungsbild des Ladenlokals wie bei Zb. (Flüss&Fischer in Köln)
-Begrüßung beim Namen und Empfehlungen die zu einem passen.
Ausgesuchtes Warensortiment mit guten PLV und gerne unbekannten aber qualitativ hochwertigen Artikeln, und kein La Martina or whatelse.

Also insgesamt würde ich sagen, ein Herrenausstatter mit dem Charme eines Tante-Emma Ladens käme wie gelegen.
 
persönlich begrüsst werden brauche ich nicht (ausser ich lege in dem Laden jedes Jahr ein paar Tausend EUR hin)
fachkundiges Personal wäre wichtig ... dieses sollte sowohl die eigenen Produkte als auch die wichtigste Konkurrenz kennen (nicht nur im Sinne von Marken sondern auch Angebot)
und vor allem: interessiertes Personal ... der Kunde will ernst genommen werden! ...

schlechtes Beispiel: meine Partnerin stöbert in einem Schuhladen mit recht breitem Sortiment an "Bootsschuhen" (Marken waren Timberland, Hilfiger und einige andere) ... ich frage ob sie auch "Sebago" im Sortiment hätten, worauf die Verkäuferin meint, von so einer Marke habe sie noch nie gehört ....

gutes Beispiel 1: meine Partnerin geht mir zu Liebe in einen Levi's Laden (sie meinte immer Jeans würden ihr überhaupt nicht stehen) ... die Verkäuferin weist zunächst auf die verschiedenen Schnittformen der Hosen hin ... allerdings sind die Modelle, welche in der Theorie am besten passen sollten, in der Praxis (in der Passform) alles andere als optimal, was die Verkäuferin bestätigt ... sie ist aber hartnäckig ... am Schluss passt das Modell, welches in der Theorie eigentlich überhaupt nicht geeignet wäre und meine Partnerin kauft ihr erstes Paar Jeans seit Jahren und ist mit der Bedienung sehr zufrieden ...

gutes Beispiel 2: ich frage bei einem Schuhmacher (der auch Schuhe verkauft), warum bei meinem Church-Schuh das Leder aufgerissen sei ... er holt ein ganzes Kalbslederstück hervor und zeigt an welchen Stellen (Huft oder "shell" wenn ich richtig verstanden habe) gutes Leder sei und an welchen dünneres (Hals, Schulter) ... auch bei den Schuhen, die er verkaufe (nicht Church), könne er nicht garantieren woher das Leder für den Schuh entnommen wurde ... wenn ich bei ihm einen Schuh machen lasse, würde nur der gute Teil eingesetzt ... was passiert mit dem Rest des "Kalbes"? der Kunde müsse halt das ganze Leder bezahlen ... das nenne ich transparente, fachkompetente und (v.a.) interessierte Kommunikation und da nehme ich einen Mehrpreis in Kauf, weil ich weiss (oder zumindest das Gefühl habe) es nimmt mich jemand ernst ...
Anm.: leider verkauft der Schuster seine Woodlore-Schuhspanner für CHF 79.- das Stück ... da erhalte ich bei Simon Langer gleich drei zu dem Preis (inkl. Lieferung, Verzollung, etc.) ... das war des Mehrpreises dann doch zu viel ....
 
Ich finde, dass der Chelsea Farmers Club (kenne nur den in Berlin) das Konzept "Traditioneller Herrenausstatter" gelungen in die Neuzeit transferiert hat. Die Kombination aus klassischen Elementen, gutem Service und "sich selbst nicht zu ernst nehmen" macht ihn zu einer wirklich runden Sache. Nur die Qualität des Sortiments finde ich leider nicht überzeugend. Außerdem ist der englische Stil nicht so meine Sache. Wenn sich jemand finden würde, der ein ähnliches Konzept in italienischer Richtung aufzieht, würde ich frohlocken.
 
Ich finde, dass der Chelsea Farmers Club (kenne nur den in Berlin) das Konzept "Traditioneller Herrenausstatter" gelungen in die Neuzeit transferiert hat. Die Kombination aus klassischen Elementen, gutem Service und "sich selbst nicht zu ernst nehmen" macht ihn zu einer wirklich runden Sache. Nur die Qualität des Sortiments finde ich leider nicht überzeugend. Außerdem ist der englische Stil nicht so meine Sache. Wenn sich jemand finden würde, der ein ähnliches Konzept in italienischer Richtung aufzieht, würde ich frohlocken.

Was genau stört dich am Sortiment (abgesehen, davon, dass es englischer Stil ist)? Schnitte, Verarbeitung, ...?
 
Ich finde, dass der Chelsea Farmers Club (kenne nur den in Berlin) das Konzept "Traditioneller Herrenausstatter" gelungen in die Neuzeit transferiert hat. Die Kombination aus klassischen Elementen, gutem Service und "sich selbst nicht zu ernst nehmen" macht ihn zu einer wirklich runden Sache. Nur die Qualität des Sortiments finde ich leider nicht überzeugend. Außerdem ist der englische Stil nicht so meine Sache. Wenn sich jemand finden würde, der ein ähnliches Konzept in italienischer Richtung aufzieht, würde ich frohlocken.

Ich kann jetzt nur für den CFC in D´Dorf sprechen, aber dort habe ich mich direkt "sauwohl" gefühlt.

War auf der Suche nach dunkelblauen Kniestrümpfen mit weißen Pin Dots, leider auch dort nicht erhältlich.
Habe mich dann aber eine Zeit lang mit dem Verkäufer sehr nett über Socken und Strümpfe unterhalten (haben uns natürlich auch gegenseitig unsere Exemplare gezeigt:D).

Was mir extrem positiv auffiel, war, dass ich trotz meines jungen Alters ernst genommen wurde (was leider nicht immer der Fall ist!) und das der Verkäufer, obwohl ich nichts gekauft habe, freundlich zu mir war und sich noch Zeit für einen kleinen Plausch genommen hat.
Desweiteren hat er mir noch Tipps gegeben, wo ich denn am besten an die besagten Strümpfe kommen könnte.

Leider bin ich jetzt auch nicht unbedingt der Fan des klassichen, englischen Stils, sonst hätte ich dort bestimmt schon den ein oder anderen Euro gelassen.
 
Was genau stört dich am Sortiment (abgesehen, davon, dass es englischer Stil ist)? Schnitte, Verarbeitung, ...?

beispielsweise die Machart der Hemden war absolut nicht mein Fall: Plastikknöpfe, sehr harte Krägen und Manschetten, sehr gewöhnliche, um nicht zu sagen beliebige, Kragenformen. Ich bin mir nicht mehr sicher, was sie kosten sollten, ich weiß nur, dass ich es zu viel für die gebotene Leistung fand. Allerdings hat natürlich auch so ein Ladenkonzept seinen Preis und ich bin froh, dass es überhaupt noch Leute wie den Tophinke gibt, die so etwas cooles wagen. By the way, ich besitze trotzdem sogar ein Paar Kniestrümpfe und eine violette Cordhose vom CFC ;-)
 
Oben