Was trage ich heute SammelThread

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Ich weiß genau, was Du meinst, man kann das auf alten Fotos von deutschen Schneiderzeitungen gut nachvollziehen, das waren die Wirtschaftswunderjahre. Ich habe einige Fotos davon gesammelt, kann sie hier aber nicht posten, es sind halt nicht meine. Es war ein Sinnbild des Korrekten, Soliden, Groben, Langlebigen, Praktischen. Aber eins war es nie: elegant. Ästhetik kam in diesem Kanon nicht vor, sich als Mann "hübsch zu machen" war zutiefst undeutsch. Wenn der deutsche Mann wählen sollte zwischen etwas, in dem er vorteilhaft aussah, und etwas, das langlebig war, nahm er immer das Letztere.


Genau. Das war die Zeit, wo die Deutschen begannen, Urlaub im Ausland zu machen. Und plötzlich entdeckten sie die feine Lebensart der romanischen Länder und fühlten sich... spießig, grobschlächtig und kleinbürgerlich. Und ich muss sagen, absolut zu Recht. Es war der Aufbruch aus einer dunklen freudlosen Nachkriegszeit der nationalen Isolation voller Erbsensuppe und Russisch Ei in die offene Welt, in der wir heute leben und aus der wir uns von überall her die Rosinen herauspicken können.

Du hast natürlich insofern Recht, dass das bis heute so weit geht, die eigenen Errungenschaften und die positiven Merkmale traditioneller deutscher Identität zu verleugnen. "In Paris trägt man das jetzt so." Loriot (den man in solchen Fragen immer zitieren kann) hat das schon subtil - hinter grobem Klamauk versteckt - im unvergessenen Anzugkauf dargestellt: Der Deutsche als stilistisch Getriebener ästhetischer Vordenker in anderen, "kultivierteren" Ländern ohne Verständnis für die zugrundeliegenden Details.

Davon wollten die Leute weg, sie wollten nicht mehr der deutsche Spießer sein. Und diese Flucht drückt sich bis heute kleidungsbezogen einerseits in der Mehrheit durch die Gleichheit und Uniformität der Jugendmoden und andererseits hier bei uns durch senfgelbe und giftgrüne Chinos mit orangenen Krawatten aus. Rüganer war in dem bewussten Beitrag Teil dieser Flucht, ich denke, das wollte Grimod höflich ausdrücken. Normalerweise rockt er es nur viel besser als die meisten, weil er dafür eine eigenen Weg des Ausdrucks gefunden hat, der für ihn funktioniert, während wir anderen in den gleichen Kleidungsstücken lächerlich aussehen würden.

Schau' Dir den Grimod selbst an, der bringt doch glatt im Solaro-Anzug seinen Müll raus. :D Mehr husarenmäßiger sartorialer Mut geht doch gar nicht, aber trotzdem sind das immer unaufgeregte, unschrille, in sich selbst ruhende, authentische Outfits (okay, minus den orangenen Casentino-Mantel mit Fellkragen :)). Und es ist so undeutsch, wie man es sich nur vorstellen kann, weil diese sartoriale Sprache nicht zuletzt auch dank des Netzes und seiner Blogosphäre mittlerweile nicht mehr an einzelne Länder gebunden ist. Es ist heute eine übernationale Ausdrucksform, in der GB und IT (und ein bisschen US) nur die ursprünglichen Ideenlieferanten sind.

Danke :o
 
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