Was trage ich heute SammelThread

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International prägend muss ein Stil auch nicht sein, um auf nationaler Ebene vorhanden zu sein, eher im Gegenteil.

Wenn ich an meine Kindeheit und Jugendzeit zurückdenke, dann bin ich sehr wohl der Meinung, dass es zumindest zu der Zeit einen deutschen Stil gab.
Schwere, sehr schwere Stoffe, steife und glatte Konturen, kaum bis nichts verspieltes, dafür unglaublich solide.
In unserem Städchen gab es damals eine Unmenge von Textilfabrikanten, alle von diesem Typ "Wirtschaftskapitän". Ich habe diesen Stil nirgends anders und seither auch nie mehr gesehen.
Ist ja auch kein Wunder, solide wirken kann nur, wer solide ist und so solide wie die Deutschen ist keiner, auch heute noch.

Irgendwann wollten die Deutschen aber nicht mehr solide wirken, geradezu zwanghaft. Das Ergebnis war vereherend: Schrill, schrill, schrill aber trotzdem steif und in seiner Schrillheit unglaublich altbacken.

Die aus GB importierte new-wave-Mode muss den Deutschen damals wie eine Offenbarung vorgekommen sein. Aber während die Briten new wave nur als Spiel verstanden haben und nach kurzer Zeit ablegten, klammern die immer noch soliden Deutschen, und besonders jene Deutschen, die unbedingt nicht solide wirken wollen, an dieser schrecklichen Modewelle immer noch fest, freilich in einer gewandelten, zeitgemäßen Form. Schrillheit und Steifheit aber ist geblieben.

Ich glube ja, dass dieses Bedürfnis nach Schrillheit die Deutschen noch lange begleiten wird, aber, wenn die Deutschen es endlich mal schaffen würden, Schrillheit mit der ihnen nun mal ganz eigenen und kulturell zutiefst verankerten Solidität zu verbinden, dann habe ich überhaupt nichts dagegen. Vielleicht ein neuer deutscher Stil, voila.
Jedenfalls, speziell mit seinem letzten Outfit hat rüganer diese Schrillheit sehr gut mit Solidität verbunden. Hat mir gut gefallen.


Was ich aber eigentlich sagen wollte: Ihr Deutschen denkt zwanghaft viel zu schlecht von euch. Wenn ihr wüsstet, wie gut der Rest der Welt von euch denkt (außer wahrscheinlich den Franzosen, aber die können eh niemanden leiden, außer sich selbst), dann würdet ihr vielleicht endlich mal aufhören, euch dauernd zwanghaft verleugnen zu wollen.
Wobei, vielleicht hat es ja auch sein Gutes, so wie es ist, denn womöglich würden sonst wieder einige sehr schnell auf die Idee kommen, dass am deutschen Wesen die Welt genesen sollte. ;)

Ich kann dem nur zustimmen. Auch wenn ich selbst diese Zeit nicht mehr miterlebt habe, ist sie mir jedoch durch zwei alte Eltern und eine große Familie in lebendige Erinnerung gebracht worden. Die von Dir genannte Schwere, die sehr schweren Stoffe, steife und glatte Konturen verbinden in meinen Augen eine Gradlinigkeit, Schnörkellosigkeit, Funktionalität und Nachhaltigkeit, die Spiegelbild der "deutschen Tugenden" sind (oder sein sollten). Wer dahinter gleich Spießertum, oder schlimmer, preußische/braune Altlasten wittert oder vermutet, der mißversteht, worum es dabei geht.
 
Eine sehr ernst gemeinte Frage: Wo genau hast Du denn im besagten Rüganer-Outfit die Solidität erkannt?

Zu Deinen interessanten Ausführungen:
Ich darf annehmen, dass sich Deine Jugendzeit irgendwann in den 60ern abgespielt hat. Steife und schwere Stoffe hatte man damals soweit ich weiß überall in Nord- und Mitteleuropa. Das dürfte kaum typisch deutsch sein. Die von Dir beschriebene Simplizität rührt glaube ich eher daher, dass sich die Männer damals kaum für Mode (das Wort Trend dürfte es noch gar nicht gegebene haben) interessiert haben und sich einfach richtig und langlebig kleiden wollten. Die treibende Idee des Individualismus kam auch erst später. Ich denke das dürfte in anderen Nationen kaum anders gewesen sein. Zu dieser Zeit lag meines Wissens nach das Epizentrum des Sartorialen in England, Italien war wohl nicht das Thema wie heute. Über Kiton, Attolini & Co. dürfte kaum jemand gesprochen haben. Ich habe gerade gelesen, dass der Stilgott Agnelli in den 80ern Kunde bei Huntsman war.

An der zwanghaften Lockerheit ist wohl etwas dran aber es gibt bestimmt schlechtere Stilvorbilder als den Italiener. So wie sich die ganze Welt deutsche Autos, Maschinen u.ä. zum Vorbild nimmt, ist es in Italien eben das Sartoriale. Suit Supply kopiert hemmungslos bei den besten oder den angesagtesten der Branche. Und die heißen nunmal Attolini (La Spalla), Santoni (Schuhe), Boglioli (Baumwollanzüge) usw.

Die Blogs sind ja nicht deshalb voll von Lino, Lapo & Co weil man die Leute dazu zwingt das gut zu finden, sondern weil es anscheinend weltweit vielen stiltechnisch interessierten Männern gefällt, bzw. als Orientierung dient. Ob z.B. Horst Tappest oder der südwestdeutsche Industrielle der 60er hier für Furore sorgen würden mag ich zu bezweifeln.

The times, they are changing.....
 
Wenn ich an meine Kindeheit und Jugendzeit zurückdenke, dann bin ich sehr wohl der Meinung, dass es zumindest zu der Zeit einen deutschen Stil gab.
Schwere, sehr schwere Stoffe, steife und glatte Konturen, kaum bis nichts verspieltes, dafür unglaublich solide.
In unserem Städchen gab es damals eine Unmenge von Textilfabrikanten, alle von diesem Typ "Wirtschaftskapitän". Ich habe diesen Stil nirgends anders und seither auch nie mehr gesehen.
Ist ja auch kein Wunder, solide wirken kann nur, wer solide ist und so solide wie die Deutschen ist keiner, auch heute noch.
Ich weiß genau, was Du meinst, man kann das auf alten Fotos von deutschen Schneiderzeitungen gut nachvollziehen, das waren die Wirtschaftswunderjahre. Ich habe einige Fotos davon gesammelt, kann sie hier aber nicht posten, es sind halt nicht meine. Es war ein Sinnbild des Korrekten, Soliden, Groben, Langlebigen, Praktischen. Aber eins war es nie: elegant. Ästhetik kam in diesem Kanon nicht vor, sich als Mann "hübsch zu machen" war zutiefst undeutsch. Wenn der deutsche Mann wählen sollte zwischen etwas, in dem er vorteilhaft aussah, und etwas, das langlebig war, nahm er immer das Letztere.

Irgendwann wollten die Deutschen aber nicht mehr solide wirken, geradezu zwanghaft.
Genau. Das war die Zeit, wo die Deutschen begannen, Urlaub im Ausland zu machen. Und plötzlich entdeckten sie die feine Lebensart der romanischen Länder und fühlten sich... spießig, grobschlächtig und kleinbürgerlich. Und ich muss sagen, absolut zu Recht. Es war der Aufbruch aus einer dunklen freudlosen Nachkriegszeit der nationalen Isolation voller Erbsensuppe und Russisch Ei in die offene Welt, in der wir heute leben und aus der wir uns von überall her die Rosinen herauspicken können.

Du hast natürlich insofern Recht, dass das bis heute so weit geht, die eigenen Errungenschaften und die positiven Merkmale traditioneller deutscher Identität zu verleugnen. "In Paris trägt man das jetzt so." Loriot (den man in solchen Fragen immer zitieren kann) hat das schon subtil - hinter grobem Klamauk versteckt - im unvergessenen Anzugkauf dargestellt: Der Deutsche als stilistisch Getriebener ästhetischer Vordenker in anderen, "kultivierteren" Ländern ohne Verständnis für die zugrundeliegenden Details.

Davon wollten die Leute weg, sie wollten nicht mehr der deutsche Spießer sein. Und diese Flucht drückt sich bis heute kleidungsbezogen einerseits in der Mehrheit durch die Gleichheit und Uniformität der Jugendmoden und andererseits hier bei uns durch senfgelbe und giftgrüne Chinos mit orangenen Krawatten aus. Rüganer war in dem bewussten Beitrag Teil dieser Flucht, ich denke, das wollte Grimod höflich ausdrücken. Normalerweise rockt er es nur viel besser als die meisten, weil er dafür eine eigenen Weg des Ausdrucks gefunden hat, der für ihn funktioniert, während wir anderen in den gleichen Kleidungsstücken lächerlich aussehen würden.

Schau' Dir den Grimod selbst an, der bringt doch glatt im Solaro-Anzug seinen Müll raus. :D Mehr husarenmäßiger sartorialer Mut geht doch gar nicht, aber trotzdem sind das immer unaufgeregte, unschrille, in sich selbst ruhende, authentische Outfits (okay, minus den orangenen Casentino-Mantel mit Fellkragen :)). Und es ist so undeutsch, wie man es sich nur vorstellen kann, weil diese sartoriale Sprache nicht zuletzt auch dank des Netzes und seiner Blogosphäre mittlerweile nicht mehr an einzelne Länder gebunden ist. Es ist heute eine übernationale Ausdrucksform, in der GB und IT (und ein bisschen US) nur die ursprünglichen Ideenlieferanten sind.
 
Bringt Grimod den Müll noch selber raus?? Tststs, die Stilvorbilder sind auch nicht mehr das was sie mal waren...

Übrigens: Ich habe meinen Stil auch noch nicht gefunden, aber die Reise ist geil :D
 
Übrigens: Ich habe meinen Stil auch noch nicht gefunden, aber die Reise ist geil :D
Amen, Bruder, Amen! :) Das ist doch das Wichtigste.

Und damit das hier nicht weiter so trocken daher kommt, zur Auflockerung ein paar Bilder von meiner persönlichen Variante der urdeutschen Flucht vor den grauen Tagen der Nachkriegszeit: Was trug ich am letzten Montag? Es war kühl, 9° Höchsttemperatur angesagt, the waning days of blue flannel mit viel zu schrillen Accessoires mit viel zu vielen Paisleys. :)
 
Zuletzt bearbeitet:
aber die Kritik war ja: Deutsch sieht es aus. Dass das Deutsche nun aufgeregt und schrill wäre, das wäre mir nun neu und passt auch einfach nicht. Grimod hat sich m.E. In seiner Kritik einfach vergriffen, ist ja nicht schlimm. Rüganers Beitrag ist niemals typisch Deutsch!!!

Was wäre eigentlich so schlimm an deutsch? Ich finde die Hose passt nicht so recht beim Rüganer, sonst top.
 
Was ich aber eigentlich sagen wollte: Ihr Deutschen denkt zwanghaft viel zu schlecht von euch. Wenn ihr wüsstet, wie gut der Rest der Welt von euch denkt (außer wahrscheinlich den Franzosen, aber die können eh niemanden leiden, außer sich selbst), dann würdet ihr vielleicht endlich mal aufhören, euch dauernd zwanghaft verleugnen zu wollen.
Wobei, vielleicht hat es ja auch sein Gutes, so wie es ist, denn womöglich würden sonst wieder einige sehr schnell auf die Idee kommen, dass am deutschen Wesen die Welt genesen sollte. ;)
Etwas OT: Die Franzosen garnicht so, im Moment viel eher die Griechen...
 
ein dunkelbrauner Rollkragen und ein anderes Einstecktuch und eine andere Mütze/Kappe wäre zusammen mit etwas dunkleren Schuhen (ruhig braun) ideal.

Ich hätte, ausgehend von der Hose als zentralem Bestandteil, eher einen hellen ca(ra)melfarbenen Rollkragenpullover gewählt, auch wg. Kontrast/Frühsommer.

Als Blazer-Alternative ebenso blaufarbiges, in Farbe und Struktur vergleichbar mit Abkanzlers zuletzt gezeigter Kombination, allerdings mit aufgesetzten Taschen (eines meiner Lieblingssakkos, teilgefüttert von Boglioli und aus Cashpima wäre meine erste Wahl).

Bei den Schuhen halte ich Rauhleder auch für sehr geeignet, farblich dunkler, ggf. stiefel(etten)artiges wie Chelsea, Balmoral & Co.

Zur Krawatte dachte ich: "Hoi Kaaskopp, die WM hat doch noch gar nicht begonnen und in der Farbe würde ich jedes Johan Cruyff-VintageShirt bevorzugen oder halt einen Rolli (s.o.) ?!" :D

Falls es doch ein Hemd sein sollte, das nicht unifarben ist, würde ich für das volle Programm zu der Hose ein Hemd in hellem Mikromuster / Paisley/ Flower-Print vorschlagen -
gut geeignet zum Frühling und mit einem Krawattenschal gibt man dann bspw. eine Impression einer Art Paisley/Psych-Mod, was ja nicht das schlechteste wäre...:)
 
Deutsch ist fuer mich auch:

Buffet
Mitnehmen
Pizza mit Allem
Je mehr desto besser

An dieser Grenze mag Rueganer manchmal wandeln. Wenn es gut klappt, ist es wirklich respektabel, aber es kann schon auch mal schief gehen.
Es gehoert vielleicht ein bisschen zur Emanzipation der persoenlichen, nationalen Identitaet als Deutscher, sich von dem Gedanken 'viel hilft viel' zu loesen und in einem nicht kasteiendem Sinne gerade durch Verzicht besser zu werden.
 
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