Mein Chef und ich...

Als Selbstständiger kann ich theoretisch anziehen was ich will.

Da ich fast ausschließlich Privatkunden habe, ist deren Garderobe entsprechend leger und so ist es immer wieder passiert, dass ich bei den Kunden offensichtlich zu "overdressed" aufgekreuzt bin (obwohl ich da noch weeeeit weg von den Forumsansprüchen war).
Die Folgen: Erschrecken, Unsicherheit, abblocken ...

Weniger wegen den dadurch geschäftlich entstehenden Nachteilen, sondern hauptsächlich weil mir die peinliche Siuation, in die ich meine Kunden gebacht habe, unangenehm war, habe ich ein downgrade vorgenommen.

Ich beschränke mich darauf, dass die Kleidung gut sitzt, farblich harnmoniert, meinen Qualitätsansprüchen entspricht und ich "gut" im Sinne von "schön" aussehe.
Auf deutlich sichtbare und als solche leicht erkennbare Stil- uns Spielemente wie USM, EST und auch Krawatte verzichte ich.
Meine Rahmengenähten dürfen natürlich weiterhin glänzen, darauf konnte ich unmöglich verzichten.

Interessanterweise ist mir aufgefallen, dass die Kunden bei öfterem Kontakt ihr Outfit upgraden - ich nehme an, weil der Unterschied nicht unüberbrückbar erscheint - und das ist doch auch schön.

Fazit:
Bei Freunden, Bekannten und auch Arbeitskollegen kann man sich sein Image "erarbeiten", welches irgendwann auch akzeptiert wird.
Den Kunden und auch dem Chef sollte man ein stückweit entgegenkommen. Schon aus Nächstenliebe.

Ich habe gelernt, dass sich der Verkäufer (im weitesten Sinn) immer etwas besser kleiden sollte, als er das von seinem Kunden erwartet. Ein brüskierter Kunde ist eventuell kein lukrativer Kunde mehr ;).
Sinngemäß lässt sich das sicherlich auf die Beziehung zu Vorgesetzten übertragen. Da dem Durchschnittsdeutschen der Unterschied zwischen Aldischuh und rahmegenäht sowie der zwischen Polyester- und hochwertiger Bekleidung ohnehin nicht auffallen dürfte, findet sich genug Spielraum für unsereins, möchte man meinen. (toller Schachtelsatz, oder ;))

Gruß
Roland
 
Ich war bei Bewerbungsgespraechen bisher fast immer overdressed. Teils scheinbar massiv. Schlecht angekommen ist das allerdings nicht, solche Gespraeche enden meist positiv, wenn man das authentisch traegt und persoenlich/inhaltlich ueberzeugt. Bei jemanden, der damit ein Problem hat, moechte ich nicht arbeiten und das kann ich mir bisher auch goennen. Fuer mich mit der wichtigste Faktor ueberhaupt bei einer laengerfristigen Stelle sind Kollegen und die Atmosphaere im Team.
 
Paysley, ich kann deine Argumentation gut nachvollziehen und denke es geht hier tatsaechlich um sehr persoenliche Ansichten. Ich war vielleicht etwas zu knapp, daher ist glaube ich nicht ganz klar geworden, um was es mir persoenlich geht. Ich kleide mich zu so einem Anlass, weil ich es als angemessen erachte und mich so kleiden moechte. Das ist sicherlich fuer mich, aber das hat keinen Bekehrungscharakter fuer mich.

Mir geht es gerade darum, dass ich mit Leuten zusammen arbeite, die darueber im Spass vielleicht mal einen Kommentar verlieren, aber fuer die das an sich einfach kein Problem darstellt. Kleidung ist in diesem Zusammenhang einfach nicht relevant, da gibt es eh eine grosse Bandbreite.

Das Diktat besonderer Kleidung gibt es ja auch in umgekehrter Weise, beispielsweise bei SAP. Dort ist die Freizeitkleidung quasi Dresscode und wer nur etwas besser angezogen kommt, muss sich dann was anhoeren.

Wenn es fuer dich so ist, dass Du Dich auf Grund der Personen in deinem geschaeftlichen Umfeld in manchen Situationen im Geschaeft so ist, dass du dich nicht wohl fuehlst, Ihnen so gekleidet gegenueber zu treten, wie du es gerne machen wuerdest, kann ich den Schritt verstehen, sich eher zurueckzunehmen. Eine andere Moeglichkeit ist m.E. aber auch, dass man versucht sich ein toleranteres Arbeitsumfeld auszusuchen. M.M.n. ist es in gewissem Sinn auch ein Zeichen von Engstirnigkeit so auf Kleidung zu reagieren, allein das wuerde mich dann etwas nerven.
 
Für mich persönlich bin ich zu dem Schluss gekommen, dass "Problemstellung: Hilfe, ich bin overdressed! Und mein heidnisches, unbelehrbares Umfeld, ach und überhaupt" im Grunde nichts anderes ist als eine Selbstbeweihräucherung meiner eigenen Arroganz.
Ich finde zwar immer Argumente, um mein Tun und Handeln zu rechtfertigen. Aber wenn ich ehrlich zu mir selbst bin, bin ich mir dem Effekt meiner Außenwirkung ganz klar bewusst. Ich gehe diese Situation ein. Jede Reaktion meines Umfelds, ob positiv (schicker Anzug!) oder negativ (rosa Socken?), schmeichelt mir insgeheim und unterstreicht meine eingebildete Überlegenheit und die mir vermeintliche Unwissenheit meines Gegenübers.

Ich sehe das ähnlich. Besonders unangenehm fällt es auf, wenn sich Leute (bewusst) im Formalitätsgrad der Kleidung vergreifen (z.B. Anzug mit Krawatte wenn casual angesagt ist). Das Tragen hoher Qualität bei angepasster Formalität hat interessanterweise noch niemanden gestört.
 
Ein brillanter, tiefgründiger und ehrlicher Beitrag, lieber Paisley, das schon mal vorweg.

Für mich persönlich bin ich zu dem Schluss gekommen, dass "Problemstellung: Hilfe, ich bin overdressed! Und mein heidnisches, unbelehrbares Umfeld, ach und überhaupt" im Grunde nichts anderes ist als eine Selbstbeweihräucherung meiner eigenen Arroganz.
Natürlich ist es das. Damit verbunden ist der feste Wille, sich nicht anzupassen, weil man andere ästhetische Vorstellungen hat und sich vielleicht auch ein wenig in der Rolle des feinsinnigen, zumindest kleidungsbezogen kultivierten Dandys unter lauter Barbaren gefällt. Dass die Barbaren das mitbekommen könnten, dass sich da einer nicht zu ihnen zugehörig fühlt und das auch visuell ausdrücken möchte, kann einem Nachteile einbringen, wenn man es nicht durch geschicktes, verbindliches, freundliches Auftreten kompensieren kann.

Mit meinem Auftreten sende ich Signale. Diese Signale werden oftmals unterschiedlich/falsch von meinem Gegenüber interpretiert. Es kommt zu Abweichungen. Diese Abweichung nimmt mein Gegenüber wahr, ob bewusst oder unbewusst. Für ihn ist also das "Bild nicht stimmig". Folglich bin "ich nicht stimmig". Oder auch "mit mir stimmt etwas nicht". Ich bin nicht eins. Ich bin nicht echt. Ich kaschiere etwas hinter einer Fassade. Ich bin unglaubwürdig.
Das darf nicht passieren. Wenn der Eindruck entsteht, man würde sich verkleiden, um mit der Kleidung einen höheren Ansehensstatus zu beanspruchen, als man ihn von der beruflichen Rolle her hätte, bekommt man immer Probleme. Man steht in sartorialer Kleidung immer im Fokus und man sollte dieser Aufmerksamkeit dann auch im Verhalten gerecht werden, um stimmig rüberzukommen.

Das Alter spielt eine große Rolle.
Ich würde sagen, es wird leichter mit höherem Alter, weil man in unserer Kultur Seniorität nach wie vor leichter mit Führungskompetenz, einem Hauch von konservativerer Lebenseinstellung und nicht zuletzt auch finanzieller Stärke in Verbindung bringt, alles Dinge, die mit dem äußeren Bild des Anzugs in den Kopfbildern der Gesellschaft gut harmonieren. Mit steigendem Alter wird auch ein weiteres maskulines Konzept im Auftreten wichtiger: Würde ersetzt jugendliche Frische und Dynamik. Auch das kommt der Wirkung sartorialer Kleidung grundsätzlich zugute.

Anderes Beispiel, um es mal auf den Punkt zu bringen: Die meisten Mädels habe ich in Polo und Jeans abgeschleppt. Und um ganz ehrlich zu sein, meistens war ich bereits angetüdelt genug, um gewisse Etikette mal getrost bleiben zu lassen. In Vino Veritas. Die Erfolgsquote bei Anzug+Krawatte: mies.
Gut, das hängt erst mal von den Mädels ab (Qualität vor Quantität ;)) und wird bei steigendem Alter auch anders. Nicht dass ich das als langjähriger treuer Ehemann in letzter Konsequenz beurteilen könnte. :) Aber die Anziehungskraft auf das andere Geschlecht ist in Anzug + Krawatte nicht notwendigerweise eingeschränkt.

Was man aber insgesamt festhalten kann, ist, dass man im Anzug in einem urbanen Büroumfeld niemals falsch angezogen ist, weil Geschäft nun mal an sich nicht Casual ist. Wichtig ist, dass man sich im Anzug nicht anders (z.B. steifer, unzugänglicher, spinnerter :)) verhält als in Freizeitbekleidung und freundlich, ernsthaft und professionell rüberkommt.
 
Paisley, vielen Dank für deinen tollen Beitrag!

Ich erkennen mich in diesem tollen Thread in vielen Gedanken und Erklärungen ein Stück weit wieder.

Mir geht es beim Thema Kleidung vor allem um eines: Wenn ich Spaß an einer Sache, einer Thematik habe, dann versuche ich gerade immerzu das für mich jeweilige, relative (!) Optimum herauszuholen. Dies ist einer meiner Grundsätze.

Ich bin nach Gallup ein "Maximizer" und nebenbei ein unerhöhrter Prokrastinator bei dem Rest. In Kombination bedeutet das für mich, dass ich mich mit den Dingen, die mir subjektiv als wichtig erscheinen, eben zusätzlich stark befasse, sodass ich gefühlt gar keine Zeit mehr habe, um mich den "langweiligen", oder subjektiv unwichtigen Dingen des Lebens zu widmen. Ich schaffe mir Ausreden... "Maximizer" funktionieren nur gut mit Hilfssystemen für ihre Schwächen.

Was ich damit andeuten möchte, ist, dass ich eklatante Schwächen habe. Und mir dieser bewusst bin. Und auch zu ihnen stehe und mich damit beschäftige, wie ich sie weniger schwach gestalten kann. Und auf der anderen Seite aber den Anspruch hege, das, was ich mache, dann auch richtig, richtig gut zu machen (relativ im Rahmen meiner Möglichkeiten).

Um wieder auf den Ausgangspunkt des Themas zu kommen: Ich bin technischer Produktmanager in der Industrie. Ich bin 27 Jahre. Ich arbeite in einem Werk. Ich habe hier mein Praxissemester, meine Thesis. Das Werk hat viele Angstellten, aber auch Werker. Hier hegt fast niemand den Anspruch (aus meiner Perspektive: wirklich) gut gekleidet zu sein. Hier fühlen sich die Menschen wie ein König im Metzinger 299,- EUR Boss Anzug. Und sei er 2 Nummern zu groß. Hier regiert der König "Olymp" mit seinem Ritter "Lloyd". Aber ich weiß es ja eigentlich besser... Womit wir wieder bei der von Paisley angesprochenen Arroganz ankommen.

Auf den ersten Blick hielten und halten mich alle für bekloppt. Auch weil die Medien diesen Stil oder alles, was in diese Richtung geht, unreflektiert sicherlich in die Rubrik "Schnösel, BWL'ler, (Investment-)Banker" steckt. Die Menschen übernehmen das subtil dann nur zu gerne. Jedenfalls falle ich auf. Und bin mir dessen bewusst. Und natürlich versuche ich auch dann und wann - aber niemals aufschwätzerisch oder initiierend - mein vermeintliches größeres Wissen um Kleidung als Tipp oder Hinweis an den Mann zu bringen. Und den gut gekleideten Damen ein Kompliment zu machen. Die Tipps laufen niemals ab nach dem Motto "du machst doch alles falsch und hast eine völlig falsche Einstellung zur Wichtigkeit und Bedeutung von Kleidung", sondern immer als sanftes Optimieren. Menschen kann und soll man nicht ändern. Menschen ändern sich nur von sich aus. Also will ich bewusst keinen zusätzlichen Druck, keine verbale Gegenposition erzeugen, die mein äußeres Erscheinungsbild ja ohnehin schon preis gibt.

(Einschub: Diese Erkenntnis, dass Menschen sich nicht ändern, ist meiner Meinung nach auch so essentiell und entscheidend für die Arbeit als solche. Meine Kollegen halten sich jeden Tag aufs Neue mit Ärger über XY auf, weil dieser und jener eben nicht so oder so ist. Ich versuche nicht mit Utopien zu arbeiten, sondern mit dem, was ich habe. Kollege XY ist eben so. Und er hat seine Stärken. Und diese versuche ich zu nutzen und ihm bei den Schwächen zu helfen, unter die Arme zu greifen oder ihm die Teilaufgabe abzunehmen. Für mich bisher eine ganz entscheidende Komponente für Erfolg und gemeinsames Vorankommen. Wer den anderen akzeptiert, wie er ist, kommt besser voran.)

Was die Menschen sehen, ist ein scheinbar perfektes Bild (gemessen an den Maßstäben hier, aber alles andere als das... :p ). Das, was die Menschen mitbekommen, wenn sie mit mir arbeiten, ist ein anderes. Ich bin nett, offen, herzlich, ehrlich, positiv, enthusiastisch, motiviert, motivierend und und vor allem das selbstironisch. Ich nehme mich nicht komplett ernst! Ich stehe zu meinen Spleens, ich stehe zu meinen Schwächen. Und versuche einzig das beste daraus zu machen. Und aus dem mir wirklich Wichtigen dann auch wirklich das Beste. Die Kollegen merken, dass man mit mir Pferde stehlen kann. Das kommt zu sehr großen Teilen sehr positiv an. Und das transportiert sich zu Dritten. Eben diesen, die sonst immerzu nur diesen "Schnösel, BWL'ler, (Investment-)Banker" gesehen haben. Und die Menschen merken, dass sie mich ebenso begeistern können für die Sachen, die sie als wichtig erachten.

Menschen mögen selten totale Perfektionisten. Zumindest nicht in meinem Umfeld. Denn diese bedeuten Druck. Spätestens durch Reflektion. Mein Bild baut diesen Gedanken auf. Das Kennenlernen zeigt dann aber, dass dort jemand ist, der sich nicht zu ernst nimmt und der manche Sachen interessant findet und manche Sachen nicht. Und die Sachen, die er interessant findet auch gleich versucht richtig zu machen. Kleidung gehört nunmal dazu. Ich bin so mittlerweile der Lieblings-Produktmanager der Entwicklungsabteilung geworden. Auch wenn man uns dort sonst gar nicht so schätzt... Man arbeitet gerne mit mir. Eben weil ich nicht perfekt bin und auch nicht versuche dieses Bild durchgängig zu verkaufen, wie viele andere Business-Kasper.

Es ist ein Weg, der sicher nicht ohne Risiko ist, denn er setzt voraus, dass mich genügend Menschen - direkt und indirekt durch hörensagen - kennenlernen als Person und Angestellten, sodass sich das Bild eben irgendwo zurechtrückt. Aber aktuell bin ich mit dieser Entscheidung, mit diesem Weg, sehr glücklich. Ich muss mich zu großen Teilen eben nicht verstellen. Und fühle mich sehr wohl. Was meinem Enthusiasmus für die Sache hier wiederum sehr zuträglich ist. Und Enthusiasmus und Erfolg korrelieren bei mir meist.

"Ich schiesse oft über das Ziel hinaus, doch selten daneben." bringt die Sache schon irgendwo auf den Punkt.
 
Anderes Beispiel, um es mal auf den Punkt zu bringen: Die meisten Mädels habe ich in Polo und Jeans abgeschleppt. Und um ganz ehrlich zu sein, meistens war ich bereits angetüdelt genug, um gewisse Etikette mal getrost bleiben zu lassen. In Vino Veritas. Die Erfolgsquote bei Anzug+Krawatte: mies.
Deinen anderen sehr interessanten Ausführungen stimme ich gerne weitgehend zu, hier muss ich aber etwas widersprechen, und das betrifft nicht nur meine eigenen Erfahrungen:

Ein zumindest von Herren ab sagen wir 30 oder 35 authentisch souverän getragener schöner Anzug (wir sprechen hier selbstredend nicht vom traurigen deutschen Bürodurchschnitt) ist allgemein extrem attraktivitätsfördernd bei den Ladies...
Egal wo, ob im Supermarkt oder auf der After Work-Party.
Egal ob die Beauties 20, 30 oder 40 sind.
Egal ob es sich um eher aufgetakelte Typen mit sichtbaren Louis Vuitton/Gucci/Burberry-Schund oder die Gothicmaus handelt...

Bei allen hat m.E. der Herr im jugendlichen italienischen Anzug die besten Chancen... Es muss natürlich keinesfalls immer Krawatte sein, auch nicht immer ein ganzer Anzug; schon eine sportlich-elegante Kombination mit feinem Hemd und schönen Sakko reicht aus.
 
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