Krawattensammlung (2) – Restaurierung

Gelöschtes Mitglied 28497

Gast
Manchmal liegt bei betagten Stücken mehr im Argen als Rühreiflecke und Knitter. Dann stellt sich die Frage, ob die Investition in mühsame Wiederherstellung lohnt. Hier ein Beispiel, wo ich für mich die Frage mit Ja beantwortet habe.


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Die Restaurierung der Silbernen Auermann

Diese Vintage-Krawatte war in einem bedauerlichen Zustand: das Gleichgewicht aus Krawatte und Einlage war im Kopfbereich hinüber, die Silhouette war vermurkst und der Knotenbereich zerknautscht und deformiert. Die Nähte waren teils schadhaft. Aber das Material dieser klassisch silbergrauen Krawatte mit einem schlichten, aber wunderschönen Paisley-Muster legte umgehend nahe, daß sie Pflege und eine neue Chance verdiente.
Die samtig-seidige Anmutung des mittelstarken Materials schlägte einen sofort in Bann, hat man erstmal Tuchfühlung mit diesem Stück aufgenommen. Die ungefütterte Konstruktion verweist hier auf einen Entstehungszeitraum vor 1960, wir haben es also mit einer historischen Rarität zu tun.
Die Krawatte wurde zunächst behutsam gereinigt und dann einer sorgfältigen Restaurierung unterzogen. Das bedeutete: eine grundhafte Neukonstruktion. Die Krawatte wurde zunächst komplett aufgetrennt und die ruinierte Einlage wurde entfernt. Danach wurde sie im Dampf entspannt und behutsam mit dem Bügeleisen geglättet.

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Die aufgetrennte Krawatte vor und nach dem Glätten

Es war eine vollständig neue Einlage herzustellen. Die Wahl fiel auf ein stabiles Material von moderater Stärke, geringfügig stärker als die ursprüngliche (zu schwache) Einlage, um ein gutes Gleichgewicht zum mittelstarken Krawattenstoff und somit eine solide Stabilität zu erreichen. Im Unterschied zur ursprünglich gerade endenden Einlage wurde nun die Form der Schwalbenschwanz-Einlage gewählt, da diese Form eine etwas bessere Stabilisierung der Kontur im Kopf gewährleistet.
Die neue Einlage wurde zunächst mit einer Papierschablone vorkonstruiert. Besonders der mittlere Abschnitt – der am meisten beanspruchte Knotenbereich – war insofern eine Herausforderung, als hier die verfügbare Breite der Krawatte nur wenig Spielraum für die Neubemessung des Nahtverlaufes ließ. Es war Millimeterarbeit im wörtlichen Sinne gefragt.

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Die alte Einlage (re.) und ein erster Versuch für eine neue, diese wurde jedoch wieder verworfen.

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Der Konturverlauf war sorgfältig neu zu definieren.

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Die neue Einlage (geschwungene Schwalbenschwanzform) wird zunächst mit Papier vorkonstruiert.

Um so genau wie möglich arbeiten zu könne, wurde die Neuvernähung in zwei Schritten realisiert: zuerst wurde die zugeschnittene und mit einer Mittellinienmarkierung versehene Einlage mit der linken Rückseite einfach vernäht. Danach wurde die rechte Rückseite gefalzt vernäht. Die genauen Nahtverläufe wurden vorher auf dem Krawattenstoff akribisch mit Markierungsnähten vorbereitet, damit am Ende eine möglichst optimale Passung zustandekommt. – Dieser gesamte Neuaufbau erfolgte auf Links, danach wurde die Krawatte gewendet und am Ende sorgfältig mit dem Bügeleisen in Form gebracht. Betrachtet man die Rückseite, besonders im Halsbereich, ist teilweise noch der korrigierte Nahtverlauf zu erkennen, der der Krawatte nun eine neue Stabilität verleiht.

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Vernähen der Einlage mit der Krawatte.

Das Endergebnis zeigt: die Mühe hat sich gelohnt. Das Gefühl, wie diese solide und zugleich zurückhaltende, zarte Krawatte in der Hand liegt, ist einzigartig. Die Weichheit des Seidenstoffes und die unübertreffliche Klassizität des schlichten Paisley-Musters in Verbindung mit dem vornehmen, leicht ins Bläuliche schimmernden Silbergrauton geben dieser Krawatte in ihrer sanierten Form eine bestechende Aura. Sie ist original etwa 65 Jahre alt – und nun wieder auf der Höhe, um getragen werden zu können.

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Da der vorstehende Bericht anscheinend auf einiges Interesse gestoßen ist, hier noch ein weiteres Beispiel einer ›Rettung‹.

Die Restaurierung der Roten Zumba

Eine augenscheinlich sehr interessante Krawatte, die anfangs Rätsel aufgab und zunächst in einer äußerst betrüblichen Form vorlag. Sie war zerknautscht und völlig aus der Form, das Schwanzende durch einen späteren Eingriff regelrecht verkrüppelt. Im Ganzen ein Bild des Jammers.
Die Herkunft der »Roten Zumba« liegt im Dunkeln. Der Stil des gedruckten Musters verweist in die frühen 50er Jahre, jedoch die gefütterte Konstruktion deutet eher auf die späten 60er oder die Zeit um 1970. Die Krawatte ist mäßig breit und durch einen sehr dünnen Seidenstoff und eine besonders dicke Einlage charakterisiert. Und in dieser Konstellation lag das Problem, das bei Krawatten dieser Machart häufig anzutreffen ist: irgendwann wird die dicke Einlage von Kantenkrümmung befallen und da der sehr leichte Oberstoff dem keinen ausreichenden Wiederstand entgegensetzen kann, gerät der gesamte Aufbau aus dem Ruder; wenn auch noch kaputte Nähte oder ungeschickte Umbauten dazukommen, ist das Schadensbild komplett.
Es stand also zur Wahl: entweder Tod oder – radikale Zerlegung und grundhafter Neubau.

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Das verkrüppelte Schwanzende (li.) und der geöffnete Kopfbereich, man erkennt deutlich die gekrümmte Kante der dicken Einlage.

Die Verbindung von sehr leichtem Oberstoff und dicker Einlage war eine vorübergehende Tendenz in der Krawattenherstellung, der nicht von ungefähr nur eine kurze Dauer beschieden war. Denn das extreme Volumen- und Masse-Verhältnis der zwei Komponenten macht ein Gleichgewicht praktisch unmöglich, die Krawatte wird schließlich im Gebrauch mechanisch beansprucht und benötigt nach dem Tragen eine Phase der Entspannung, um nicht dauerhaft zu deformieren. Es war also von Anbeginn an klar, daß, wenn auch die sehr dicke Einlage die wahrscheinlich historisch originale war, ein zukunftsfähiger Neuaufbau mit einer anderen Prämisse erfolgen müßte.

Maßstab für die Erwägungen zur Restaurierung war vor allem das ungewöhnliche, interessante Stoffmuster. Und die Tatsache, daß der Stil dieses Dekors – warum auch immer – wohl eher auf die Zeit 15 oder 20 Jahre vor der tatsächlichen Herstellung deutete, ließ es angemessen erscheinen, der Krawatte für ihr neues Leben eine dünne Einlage und damit eine leichtere Erscheinung zu verleihen – so, wie es diesem Stoff angemessen und für die Krawatten der 40er und 50er Jahre typisch war. Die ursprüngliche Breite (9,4) sollte beibehalten werden.
Die Krawatte wurde komplett zerlegt und es wurde ihr aus einem dünneren aber vergleichsweise festen Material eine neue Einlage angemessen. Sodann erfolgte zunächst die Rücknaht mit der linken Seite und im zweiten Schritt die Schlußnaht mit der rechten gefalzten Seite, auf Rechts. Die gefütterten Enden, Schwanz und Kopf, wurden geglättet und behutsam neu in Form gebracht.

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Die von der Einlage befreite Krawatte vor und nach dem Glätten.

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Einfügen der neuen Einlage.

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Nach dem Vernähen mit der einen Seite wird die Krawatte mit einer zweiten Naht geschlossen.

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Die Kantenpassung wird im Kopfbereich sorgfältig vorfixiert.

Das Ergebnis der Bemühung ist eine wunderschöne, spezielle, markante und leicht daherkommende Vintage-Krawatte mit Vergangenheit, die aus der Verbindung von subtilem historischem Musterdesign und physischer Verjüngungskur eine ganz eigene Ausstrahlung bezieht – eine Ausstrahlung der Balance von zeitlosen Tugenden eines klassischen Kleidungsstückes, das weder protzt noch aufträgt – das seinem Träger aber einen moderaten Akzent selbstbewußter Eleganz verleiht.


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Die fertige Krawatte.
 
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