Großbritannien - mein Reisebericht für das Stilmagazin

Beethoven

Well-Known Member
Hallo zusammen,

im Mai wurde ein Wunschtraum war, den meine Frau und ich über die vergangenen Monate bei zahlreichen Gin Tonic hatten reifen lassen.

Wir haben das Cabrio gesattelt und - entgegen den ansonsten üblichen Frühjahrs-Urlaubszielen für sonnenhungrige Offenfahrer - eine zweiwöchige Reise durch Großbritannien angetreten. Das Ziel war nicht nur, dabei ein mir bislang weitgehend unbekanntes Land zu erkunden, sondern auch, es satorial abzugrasen und mit leerer Brieftasche, dafür prall gefülltem Kofferraum auf den Kontinent zurückzukehren.

Einzige Einschränkung: London wurde ausgespart, da es zeitlich den Rahmen gesprengt und eine Verschiebung der Prioritäten bedeutet hätte. So führte unser Weg unter anderem durch Dover, Canterbury, Cambrige, Northampton, Leicester, Coventry, York, Durham, Edinburgh, Glasgow, Oxford und viele kleinere Ortschaften, die wir aufgrund einer einzelnen Sehenswürdigkeit (z.B. eines Gartens oder Herrenhauses, Dank unserer extra für die Reise abgeschlossenen Mitgliedschaften in National Trust und Historic House Association auch spontan möglich) mit auf die Route gesetzt hatten.

Ich hatte zwar keine bindende Einkaufsliste, aber die Wunschthemen Schuhe, Hose, Ascot, Socken, Trenchcoat, Barbour, Tweedsakko sowie mindestens eine britische Kuriosität sollten auf keinen Fall unerfüllt bleiben, außerdem Coronation Mugs, Whiskey und Gin aus dem Non-Kleidungsbereich.

Mein besonderes Interesse galt dem Second Hand Markt, der in UK zum einen in Form von "Vintage Stores", zum anderen aber auch in zahlreichen Wohltätigkeitsgeschäften ("Cancer Research UK", "Shelter Scotland", "The Clothing Bank", "Oxfam", "British Heart Foundation", "For pets in needs of vets" etc.) eine bemerkenswerte Größe erreicht hat (in einem dieser Geschäfte sah ich z.B. anliegenden Aquascutum-Mantel für kleines Geld, aber völlig falsche Größe... Schade, Kuriosität und Mantel hätte ich damit gleich erledigen können!).

Im folgenden möchte ich Euch ein paar satoriale oder stilbezogene Eindrücke dieser Reise in eine der Heimatregionen der guten Bekleidung schildern und dabei auch meine Meinung zu den besuchten Einkaufsstätten loswerden. Manchmal ist es auch einfach nur ein gutes Café, das ich empfehlen möchte.

Da dies kein Reiseforum ist und um den Rahmen des Beitrags nicht zu sprengen, werde ich keine Bilder der wunderschönen Orte, Kathedralen, Gärten und Herrenhäuser posten (was mir schwer fällt), die Großbritannien zu bieten hat. Angesichts des kulturellen Reichtums der Insel gäbe es in dieser Hinsicht viel zu zeigen!

Das ganze soll nicht mein persönlicher Reiseblog sein, sondern darf bei Bedarf von Euch durch eigene Ansichten oder Erfahrungen ergänzt werden. Also postet fleißig, was Euch einfällt!

Gruß Uli
 

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Vorab Grundsätzliches:

1. Im Gedächtnis geblieben sind die disziplinierte Freundlichkeit der Briten sowie ihre höfliche Umschreibung unangenehmer Umstände. Beispielhaft ein Schild, das in Deutschland wohl nur "Nicht betreten" gelautet hätte. Und Portiers geben bei uns auch nie ihre Mobilnummer an.

2. Das Wetter ist unberechenbar - zum Glück, sonst wäre wohl die wettertaugliche britische Kleidung nie erfunden worden. Besser als mit dem anliegenden Bild kann man es nicht ausdrücken - kein anderes Land würde zur Wetterbeschreibung während eines Museumsbesuchs "Tick all that apply" erlauben. Und natürlich: Man trägt Barbour. In alt. Oder uralt. Oder schmutzig. "Unique" muss er sein. Zur Not gemäß der Kriterien.

3. Der Umgang mit der Kriegsvergangenheit verläuft ohne Steifigkeiten. Neben Museen, in denen man "live" einen nachgestellten angriff der Dt. Luftwaffe aus englischer Zivilistensicht nachempfinden darf (inkl. Rauch aus der Nebelmaschine) findet man endlos Literatur und Bezugnahmen auf den Glorious Victory. Nicht wirklich in diesen Kontext passt die folgende Nebenbeobachtung, die ich aber nicht anders unterzubringen weiß: Geschäfte für Unterhaltungselektronik tragen in Großbritannien Namen, die auf deutschem Gebiet eher mit fragwürdigen Kultvereinigungen oder verbotenen Partien assoziiert würden.

Nun aber endlich zu den Reiseerlebnissen.
 

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Ein Schuhtag in Northampton

Das Ziel dieses Besuchs sollte klar sein - Schuhe. Bekanntermaßen sind in Northampton einige attraktive Hersteller beheimatet und es gibt einen kleinen eigenen Stadtplan, in dem alle Factory Outlets eingezeichnet sind. Diese sind wirklich noch das, was man sich darunter vorstellt: Winzige, schäbige Geschäfte in unmittelbarer Nähe der Fabriken, in denen nicht etwa eine eigene Outlet-Linie minderer Qualität vertrieben wird, sondern tatsächlich "Factory Seconds" (mit kleinen optischen Fehlern) und Versandrückläufer.

Betrieben werden die Outlets mehrheitlich nicht von Verkäufern, sondern eher von "Administratoren", die fast durchgehend vor dem Computer oder Telefon hängen und eher den Bestand zu verwalten scheinen als verkäuferisch tätig zu werden. Nun, für mich als Kunden ist das kein Problem.

Leider hatte mein Favorit Crockett & Jones an jenem Tag geschlossen, so dass wir nur Tricker's, Church's, Edward Green, Jeffery West und John Lobb besucht haben. Mein erster Eindruck war: In Deutschland hätte man "mehr draus gemacht", also einheitliche Öffnungszeiten, riesige Parkplätze, Wegweiser, Fressbuden drumherum und den ganzen Krams, der deutsche Outlet-Citys so unsympathisch und gleichzeitig so erfolgreich macht. Und genau das ist der Grund, weshalb der Einkauf in den Northampton-Outlets viel mehr Freude bereitet.

Im folgenden mein kurzes Review der besuchten Geschäfte.
 
Der Tricker's Outlet ist über eine Stahltür im Hinterhof beim Kiesparkplatz zu betreten (am Haupteingang wird einem sogar ein ausgedruckter Anfahrskizze gereicht, da man um den Block herumfahren muss). Der Outlet wird von einer freundlichen Dame betrieben (ihren eigenen Angaben nach ist sie aber nur die Vertretung), die auf Wunsch auch ins Lager läuft und nach weiteren Exemplaren sucht, wenn ein Kundenwunsch nicht erfüllt werden kann. Zum Verkauf stehen im Outlet etwa 200 verschiedene Paare. Die Preise für "Seconds" sind bei Tricker's auf 289 GBP festgesetzt - ein fairer Preis für die angebotene Qualität, aber leider war in meiner Größe außer dem abgebildeten Fliederschuh nichts Brauchbares vorrätig (UK11.5 mit möglichst flachem Spann ist eben doch keine Allerweltsgröße).

Dafür kann durch ein großes Fenster die "Finishing" Abteilung der Fabrik besichtigt und es dürfen explizit Fotos gemacht werden. Ich sage euch: Wenn das meine Fabrik wäre, würde ich sie einmal gründlich aufräumen oder aus purer Scham keine Fotos zulassen. Der Niedergang der britischen Industrie durch Verwahrlosung, und Investitionsstau kann an vielen Stellen des Landes besichtigt werden, und so im Kleinen auch hier. Aber was soll's - die Ware ist meines Erachtens erstklassig und verdient Hochachtung. Im Outlet befindet sich außerdem noch ein kleines "Schuhmuseum" in Form einer Vitrine mit ca. 50 alten Schuhen.
 

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Der Church's Shop ähnelt fast einem richtigen Schuhgeschäft und verfügt im Gegensatz zu den anderen Outlets sogar über eine richtige Glastür, die von alleine öffnet und schließt. Das Sortiment ist hier recht vielseitig und preislich auffallend attraktiv - zwischen 130 und 230 GBP werden "Seconds" verkauft, einzelne Paare sogar unter 100 GBP. Über die heutige Qualität der Schuhe gibt es viele Meinungen, darunter viele negative. Negativ war an diesem Tag allerdings nur mein Eindruck vom anwesenden Verkaufspersonal - etwas so Lustloses, Distanziertes und Lahmarschiges im Modus "DDR-Ausreiseantragsbearbeitungsbeamter" habe ich in ganz UK kein zweites Mal erlebt. Obwohl die Belegschaft dieses Saftladens keinen Kunden verdient hätte, habe ich mich zu einem Kauf entschlossen, da Passform, Gesamteindruck und PLV einfach zu gut waren. Schuhe: Abgehakt!
 

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Der Edward Green Shop liegt im modisch-kubisch gestylten weißen Fabrikgebäude und kann nur über vorherige Terminvereinbarung besucht werden. Völlig ohne Termin standen wir in der Tür und wurden dennoch hereingelassen - recht so. Eine sehr freundliche, aber inhaltlich unbedarfte und ahnungslose Dame begleitete uns in den Factory Outlet, der sich als hell erleuchteter, eleganter Ausstellungsraum inmitten der Versandabteilung der Fabrik befindet. Eine wahre Schatzkammer. Etwa 800 Paare stehen dort zum Verkauf, darunter auch sehr interessante Einzelanfertigungen in Sonderfarben, bei denen irgend etwas schief gelaufen ist. Preise zwischen 450 und 650 GBP pro Paar, für mich leider etwas über der emotionalen Budgetgrenze. Ein sehr beeindruckendes Sortiment, das man aber auf jeden Fall gesehen haben sollte.
 
Der Jeffery West Store soll hier eine besondere Erwähnung finden. Es handelt sich streng genommen nicht um einen Outlet, da JW laut eigenen Angaben nicht selbst produziert und demnach auch keinen Fabrikverkauf hat. Es ist eher ein "Outlet Store" im Sinne einer Hersteller-Niederlassung, weshalb wir ihn eigentlich gar nicht besuchen wollten, außerdem sind mir die Schuhe etwas zu albern und "cowboy-haft" im Design. Wir waren trotzdem dort. Das Geschäft ist ein wunderschöner Verkaufsraum mit sehr interessanten Ausstellungsstücken. Ein ausdrückliches Lob möchte ich hier außerdem für das überaus freundliche, hilfsbereite und herzliche Personal aussprechen, das an diesem Tag definitiv die Messlatte hinsichtlich Kundenfreundlichkeit gesetzt hat.
 

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Auf John Lobb hatte ich mich besonders gefreut, umgibt diese Marke doch der Hauch des Besonderen.

Der Outlet befindet sich im ersten Stock der Fabrik und wird über eine rumpelige Holztür an der Außenseite betreten, hinter der eine alte Treppe nach oben führt. In den Innenräumen herrscht recht viel Bewegung, es erinnert an einen industriellen Verwaltungsbereich des frühen 20. Jahrhunderts. Im Shop fällt auf, dass alle Schuhe in ihren Kartons lagern, so dass man jeden einzelnen öffnen muss, um die Kostbarkeit bestaunen zu dürfen. Was ich natürlich tat.

Allein in meiner Größe 11.5 habe ich bei diesem Besuch 60 Paare gefunden, die anderen Größen waren ebenso gut verfügbar. Preise zwischen 400 und 650 GBP. Verliebt habe ich mich an diesem Tag nicht nur (erneut) in meine geduldige Frau, die hier wirklich nichts tun konnte außer zuzusehen (während es bei Tricker's und Church's jeweils auch Damenschuhe in einer bemerkenswerten Auswahl gab), sondern u.a. auch in das anliegend abgebildete Paar blutroter Double Monks, die eine Einzelanfertigung ("Made in England on request") waren und für 420 GBP mein Eigentum hätten werden können, wenn die Vernunft nicht größer gewesen wäre. Naja, so richtig stramm saßen sie ehrlich gesagt auch nicht und die Kuriosität hätte ich gerne günstiger abgehakt.
 

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Wir haben übrigens im "The Stuffed Olive" im Stadtzentrum von Northampton ein gutes Mahl eingenommen und wären gerne noch der Empfehlung eines ebenfalls dort speisenden britischen Rentnerpaares gefolgt, unbedingt das Northampton Museum zu besuchen, da es dort mehrere Räume zum Thema Schuhe gebe. Leider war das Museum besuchstagbedingt geschlossen.

Im nächsten Schritt möchte ich Euch einige ausgewählte Städte und ihre satoriale Besonderheiten beschreiben.
 
Cambridge

Wunderschöne Universitätsstadt, schöne Kathedrale, sehenswerte Altstadt. In Cambridge sind mir zwei zufällige Schnappschüsse gelungen. Zum einen zwei äußerst adrett gekleidete Herren in einer Teestube, die auch im WTIH-Thread ein gutes Feedback bekommen hätten. Da ich keine aufdringlichen Touri-Fotos machen wollte, sind sie leider nur hinter der spiegelnden Glasscheibe zu erkennen.

Zum anderen ein älterer Herr, der seine Angebetete unbedingt selbst auf der Cam umhergondeln wollte und dabei die Physik des Bootes nicht wirklich beherrschte, dafür aber eine einzigartige Figur machte und natürlich die Blicke der Umherstehenden auf sich zog. Ein guter Auftritt.

Zu den Glocken: Hier hätte ich zu gerne an den Seilen gezogen. Zu gerne.
 

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