Einsteigerfrage: Garderobe und Lebensart?

Molignew

Member
Gentlemen

Ich bin gestern durch einen ausgesprochen glücklichen Zufall auf dieses Forum gestoßen und kann immer noch (nachdem ich seit dieser epochemachenden Entdeckung beinahe meine gesamte Freizeit damit verbracht habe in den zahllosen Forumsbeiträgen zu stöbern und zu lesen) kaum meiner Begeisterung darüber Ausdruck verleihen, dass es so etwas Ansprechendes und Inspirierendes in unseren Gefilden überhaupt gibt!

Ich habe durch längere Aufenthalte im Ausland den Eindruck gewonnen, dass es um Stilempfinden und –bewusstsein des deutschen Mannes im Durchschnitt nicht wesentlich schlechter oder besser steht als um das in anderer Herren Länder. Allerdings glaubte ich auch feststellen zu können, dass es hierzulande – im Gegensatz zu beispielsweise Italien, Frankreich oder natürlich England - kaum überhaupt löbliche Ausnahmen vom tristen Einerlei moderner Bekleidungskultur (ich verwende das Wort trotz schwerster Bedenken gegen die Verbindung des Begriffs Kultur mit dem was man so im Alltag als Bekleidung zu sehen gezwungen ist) gäbe.

Umso erfrischender empfinde ich es daher in diesem Forum auf gleichgesinnte gestoßen zu sein und ich hoffe vielleicht auch durch eigene Beiträge ein wenig zum gelingen dieses löblichen Treibens beitragen zu können.

Als Neueinsteiger in diesem Forum interessiert mich zunächst eine wie ich finde wichtige Frage:

Wie halten Sie es mit den Fragen des Stils und der Etikette bzw. der Hinwendung zu Traditionen und manchmal vielleicht auch antiquiertem in den Lebensbereichen außerhalb der Garderobe? Will sagen, trennen Sie die Art sich zu kleiden von der Art sich zu geben, zu sprechen, sich zu halten, sich einzurichten, sich zu ernähren, sich zu motorisieren etc.? Oder sind Sie der Meinung dass der in der Garderobe zunächst und am sichtbarsten zum Ausdruck kommende Stil des gleichen Stils in anderen Lebensbereichen bedarf um insgesamt ein wohlgefälliges Gesamt – Persönlichkeitsbild zu schaffen.

Ich würde mich sehr über Meinungen und Standpunkte hierzu freuen.

All the best

Molignew
 
Guten Morgen,

schön, dass Sie ins Forum gefunden haben und dann gleich mit einem so interessanten Thema.

... trennen Sie die Art sich zu kleiden von der Art sich zu geben, zu sprechen, sich zu halten, sich einzurichten, sich zu ernähren, sich zu motorisieren etc.? ...

Normalerweise versuche ich ein harmonisches Ganzes abzugeben, dass andere nicht irritiert. Ab und Zu breche ich aber bewußt mal aus.

Für Kleidung investiere ich deutlich mehr, als man erwarten würde. Seit ich hier im Forum mitmache, ist dass noch weiter angestiegen.

Bei Urlaub spare ich etwas über den Umfang. Also wenig Urlaub (5-10 Tage im Jahr), dafür etwas teuerer, aber nicht Luxus, also anlog aktuellen deutschen 3-4 Sternehotels.

Beim Auto wechselt das alle ca. 3 Jahre (100.000 km). Mal fahre ich etwas teuereres (z.B. Mercedes C, E, BMW 3-er, 5-er), dann wieder etwas günstiges (Golf Basis-Diesel).

Sprachlich mache ich keine Differenzierungen.

Freundliche Grüße
Günter
 
Willkommen im Forum. In der Tat eine interessante Frage. Soziokulturell ist ja die europäische ständische bzw. englische Klassenordnung in der über relativ klar abgegrenzte Kleidung, Sprache, Moral (in der Theorie), Habitus im Ganzen entsprechende Zugehörigkeit sehr strikt definiert wurde, im Laufe des 20Jhd.s extrem aufgeweicht worden. Ökonomischer, sozialer und kultureller Leitstatus sind nicht mehr annährend kongruent und es gibt heute vergleichsweise wenige (bzw. anders gelagerte und subtilere) oktroyierte Codices. Identität wird heutzutage postmodern aus einer breiten Palette von Konsumoptionen zusammengestellt, wobei man/frau sich an Medienvorbildern orientiert, bzw. der simultanen Zugehörigkeit zu zig Subkulturen. Konkret formuliert: das ich gerne klasssiche englische Anzüge etc. trage hat nichts mit meinem sozialen Status zu tun, Einkommen oder anderen kulturellen Präferenzen zu tun und auch nicht familaler Tradition, sondern ist eine persönliche Form sartorialer Subkultur, ebenso wie mein Interesse an Indie/Punk Musik oder ehemals an Fantasy Rollenspielen. Zudem wechsele ich die Rollen, d.h. laufe auch mal in zerrissener Jeans und T-Shirt rum oder in "Fashion" Klamotten a la Costume National. Ich kann mich akademischer, formaler und (im Übungsraum) jugendsprachlicher angehauchter Sprachregister bedienen, Hochdeutsch, hessisch, New England Academic oder Midwestern colloquial sprechen. Und politisch bin ich erbitterter Gegner der Ideologien, welche im von mir so geschätzen englischen Dresscodes eingeschrieben sind - so in etwa wie ich auch als Atheist ein Liebhaber gotischer Kathedralen bin :).

So ,jetzt habe ich mich quasi auch gleich mal richtig vorgestellt :D.
 
... so in etwa wie ich auch als Atheist ein Liebhaber gotischer Kathedralen bin :).

Wunderbar.

Ein Bekannter hat einmal die Hypothese aufgestellt, meine Begeisterung für Barockmusik und vor allem für deren sakrale Werke, sei Ausdruck meiner unterschwelligen Angst, die meine ansonsten ausgeprägte Glaubensferne und Abneigung gegen Kirche im Allgemeinen in mir heraufbeschwöre, und zugleich Ausdruck einer versuchten Kompensation dieser Glaubensferne.

So kämpfen wir doch alle mit denselben Dämonen!

dE
 
Gentlemen

delighted over so much response in so short a time.

Es freut mich, dass die von mir aufgeworfenen Fragen auf Interesse stoßen. Leider fehlt mir momentan die Zeit auch gehörig zu antworten. Werde dies aber "asap" nachholen.

All the best

Molignew
 
Die starren regeln wie noch vor 50 Jahren gibt es nicht mehr, was die Kongruenz Lifestyle und Outfit angeht. Im Sinne, wer Daimler fährt, ist CDU Wähler, trägt immer Anzug und Krawatte und isst gutbürgerlich.

Heute kann man Rolls-Royce fahren und eine 20 Millionen Dollar Villa haben - und ein komplett tätowierter, Skaterklamotten tragender Rapper sein.

Oder CDU Politiker sein und auf Punk Konzerte gehen.


Wobeiu ich finde, dass es irgendwo Grenzen gibt, wenn es zu weit ausseiander geht, wird es irgendwann unglaubwürdig.

Beispiel:
Die politische Meinung der PDS/Linke lauthals vertreten, gegen Wohlstand und erfolgreiche Leute wettern und gleichzeitig Zegna tragen, Daimler fahren und Dom Perignon (kann auch Kiton, Bentley und Crystal sein;) trinken - eine Kombination, die es errschreckend oft gibt...!
 
Gentlemen

It took some time, but here we go now:

Ich glaube den dankenswerten und geschätzten Beiträgen einen gewissen Konsens dahin gehend entnehmen zu können, dass eine Hinwendung zur klassischen Herrengarderobe nicht notwendig auch eine Hinwendung zur "Klassik" in anderen Lebensbereichen bedingen muss.

Vor allem hinsichtlich des "muss" kann ich mich dieser Meinung vollumfänglich anschließen. Schließlich ist es ja gerade der Tatsache, dass es heute keinen allgemeinverbindlichen Stil - vor allem nicht in der Bekleidung - mehr gibt, zu verdanken, dass wir (ich erlaube mir hier alle stilistisch gleichgesinnten zu subsumieren) uns z.B. so kleiden können wie wir uns eben kleiden, ohne deshalb wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses verhaftet zu werden wie weiland G.B. Brummel als er die Londoner Öffentlichkeit zum ersten Mal mit dem Anblick einer langen Röhrenhose anstatt der üblichen Kniehose zum "Frock coat" konfrontierte. Denn, unter uns gesagt, dem bekleidungstechnischen Zeit(un)geist unserer Tage entsprechen wir modisch nicht immer oder nie.

Allerdings bin ich mit „El_Jorge“ auch der Meinung dass die verschiedenen Lebensbereiche hinsichtlich Stil und Anspruch nicht zu weit auseinander driften dürfen wenn vermieden werden soll dass das Gesamtbild unglaubwürdig bzw. nicht mehr als Ausdruck einer mehr oder minder vollständig entwickelten Persönlichkeit wirkt.

Einen etwas anderen Standpunkt vertrete ich, natürlich ohne damit einen Anspruch auf Allgemeingültigkeit zu erheben, hinsichtlicht des „Rollenwechsels“. Zum einen ist m. E. die Art wie ich mich bekleide keine Rolle in die ich schlüpfe und für die ich mich verkleide, sondern meine persönliche Note mit der ich dauerhaft und stilistisch in sich stimmig meiner Umwelt begegne und auch mit ihr kommuniziere. Zum anderen bin ich der Meinung, dass man seine Garderobe so auswählen sollte, dass man sich darin wohl fühlt – nichts ergibt ein schlimmeres Bild als ein Mensch der gezwungen ist Kleidung zu tragen in denen er sich nicht wohl fühlt, mag es sich auch um den besten Maßanzug oder die bequemste Turnhose der Welt handeln. Wenn man sich also in klassischer Garderobe wohl fühlt erklärt sich mir das Bedürfnis nach Ausbruch aus diesem Stilkanon nicht ganz, da ich zumindest für mich nicht nachvollziehen kann, wie man sich nach der Entscheidung für eine Stilrichtung in anderen Stilrichtungen wohlfühlen kann, solange der klassische Stil nicht doch nur eine Verkleidung war.

Bin ich hier mit meiner Meinung zu engstirnig? Oder gibt es Gentlemen die mir zustimmen und mit mir fragen: „Do you intend to wear this attire in public Sir?“

All the best

Molignew
 
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