Einfluss der Garderobe auf Verhalten?

Das gute Leben

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Im Deutschlandfunk wurde letzt über ein Experiment berichtet, in dem nachgewiesen wurde, dass Menschen durch das Tragen von Laborkitteln intellektuell leistungsfähiger wurden, d.h. die Metonymie Laborkittel = Wissenschaftler = besonders intelligent wirkte als kulturelles Placebo, so daß die Probanden ihr intellektuelles Potenzial besser ausschöpfen konnten. Die Forscher interessiert jetzt die Frage, ob durch das Tragen etwa eines Richtertalars auch der Gerechtigkeitssinn gesteigert wird.
Da stellt sich nun die Frage: Halte ich in einem abgewetzten Tweedjacket auch besser Vorlesungen über Geschichte? Verhalte ich mich im Maßanzug eher wie ein Gentleman? Da eröffnen sich gänzlich neue Dimensionen des sartorialen Behaviorismus...
 
Das funktioniert umgekehrt übrigens genau so gut.

Ende der 80er versuchte eine Hamburger Bank gezielt junges Publikum anzusprechen, indem man einen Jugendschalter eröffnete. Dahinter saß dann ein junger Angestellter in Street Style, der auf einer Ebene mit den Gleichaltrigen kommunizieren sollte. So die damalige Denke des Vorstandes. Das Projekt wurde wegen Erfolglosigkeit eingestellt. Die Jugendlichen liessen sich lieber von Angestellten im Businessoutfit beraten, während der hippe Banker den ganzen Tag Däumchen drehte. Seine Altersgenossen trauten ihm ganz offensichtlich keine vernünftige Beratung zu.
 
Gute Frage, ob man sich im Maßanzug wie ein Gentleman verhält. Gegenfrage: wie verhält sich denn ein Gentleman? Ich rede weniger von "Tür aufhalten", sondern z.B.: wie verhält sich ein Gentleman im Geschäftsleben? Wie verhält er sich gegenüber Angestellten? Fordert er sie z.B. zu Verstößen gegen das Arbeitszeitschutzgesetz auf, weil Mitarbeiter bestimmte Grenzwerte von Überstunden überschritten haben?
 
Oder aber ist er professionell, tut, was zu tun ist, behandelt Mitarbeiter, Kollegen und Kunden fair, aber mit der notwendigen Durchsetzungsfähigkeit? Vielleicht ist er sogar selbst Angestellter und Gentleman im Geschäftsleben. :)

"Gentleman" ist allerdings im ursprünglichen Wortsinne niemand, der es nötig hat, für seinen Lebensunterhalt zu arbeiten. Damit kümmert er sich auch nicht um solche niederen Details wie z.B., seine Angestellten zu unterdrücken. Dafür hat er seine Leute. ;)
 
Da selbst hier im Stilforum sich schon kaum jemand für Stil, Manieren und Gentleman-Verhalten interessiert, ist es fast auszuschließen, dass man sich generell im Gentleman-Outfit bewußt oder unbewußt besser verhält. ;)

Ich sehe bei den meisten Menschen eher Gefahren, jedenfalls bei Labelwhores von Armani, Boss & Co.: steigende Arroganz fällt mir dazu ein...

Und insbesondere die Aufsteiger, die sich Kleidung leisten, die sie sich besser nicht leisten sollten, haben z.T. kein gesundes Verhältnis zu ihrem Outfit:'Tut mir leid, sie müssen hier im Zug stehen, mein Kaschmirmantel braucht einen eigenen Sitzplatz'. ;)
 
Nach der Studie ändert sich doch das Verhalten der Personen um eine besonders gekleidete Person herum und nicht das der Person selbst oder? Ich glaube schon, dass Personen versuchen sich zivilisierter zu verhalten, wenn in ihrer Umgebung ein signifikanter Anteil von gut scheinbar gut gekleideten Personen präsent ist. Ich bin der Meinung, dass dadurch aber eher eher ungesitteteres Verhalten beim gut Gekleideten mit einhergeht, weil die soziale Machtgewinnung durch die bessere Kleidung ohne wirklichen Kompetenzhintergrund ein Anreiz zum Machtmissbrauch mit sich bringt.

Ich weiß nicht, wer es war, aber jemand sagte hier, eher würde eher einfacher gekleidete, aber formell einigermaßen korrekte Personen einstellen, als vermeintliche Gentlemen. Das ist auch der offensichtliche Grund, warum Politiker keine auffällig hochwertige Kleidung tragen, oder Beratungen Stilrichtlinien haben, die Manschetten und Einstecktücher nicht vorsehen. Kleidung in seiner sozialen Funktion ist das erste offensichtliche Zeichen einer Positionierung in der Gesellschaft und damit eine Art der Kommunikation. Stimmen tatsächliche soziale Rolle und der damit verbundene Anspruch nicht mit dem äußeren Bild überein, kommt es zu kognitiven Dissonanzen.
 
Nach der Studie ändert sich doch das Verhalten der Personen um eine besonders gekleidete Person herum und nicht das der Person selbst oder?

Nein, es geht tatsächlich darum, dass die das Kleidungsstück tragende Person sich verändert - und sich nicht nur für "wissenschaftlicher" hält, sondern objektiv bessere Ergebnisse liefert.
 
Das ist wohl vergleichbar dem Effekt, den ein Mathebuch unter dem Kopfkissen hervor ruft. :D

Also mal ehrlich...
 
Nein, ich denke, da kann schon was dran sein, es ist eine Form von Autosuggestion, die das Bild, das man von einer bestimmten Kleidung in Hinblick auf Verhalten und Fähigkeiten des Trägers hat, auf sich selbst projiziert. Man wird natürlich nicht schlauer, aber aufmerksamer, strengt sich mehr an, um dem Bild, das man damit verbindet, zu entsprechen.

Dieses Bild wird allerdings stark und eindeutig sein müssen. Ich bin mir nicht sicher, ob der Anzug an sich nicht zu vieldeutig ist (Dandy, Business-Hai, englischer Landjunker, Nobel-Zuhälter, ... :) ), um in dieser Hinsicht zielgerichtet eingesetzt zu werden.

Ich meine allerdings auch schon von Studien in früheren Zeiten gehört zu haben, die in Bezug auf das Geschäftsleben einen strengeren Dresscode mit Anzug und Krawatte schon aus dem Grunde propagierten, weil Freizeitkleidung am Arbeitsplatz auch ein lässigeres "Freizeitverhalten" beim Erledigen der eigenen Arbeit unterstützten. Ich denke aber, dass das aus einer Zeit heraus kam, wo der Anzug als Berufskleidung noch flächendeckend etabliert war. Wenn jemand heutzutage in einem spezifischen Beruf nur in sog. Freizeitkleidung zu arbeiten gelernt hat, wird dieser Zusammenhang für ihn nicht gelten.
 
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