Liebe Mitforanden,
ich habe diesen Faden jetzt das erste Mal gelesen - von vorn bis hinten. Auch wenn das Thema schon etwas älter zu sein scheint, erlauben Sie bitte, dass ich jetzt auch meinen Senf dazu gebe:
Zunächst einmal finde ich, dass die "Suche" abgesehen von einigen unschönen Flame-Wars schon recht erfolgreich verlaufen ist. Dass etwa das Thema "Drittes Reich" und "Uniformen" so weitläufig besprochen wurde, war klar - und lässt die Hoffnung zu, dass man diese Diskussion jetzt als weitgehend geführt beiseite lassen kann.
Ich würde gern ein wenig mehr Struktur in die Diskussion bringen. Schließlich gibt es doch ein paar Sachen zu unterscheiden.
Zum einen gibt es Trachten etc. - klar, irgendwie typisch deutsch, aber auch andere Länder haben so etwas, nehmen wir etwa unsere osteuropäischen Nachbarn. Daraus einen "deutschen Stil" zimmern zu wollen, halte ich für eine Sackgasse. Ich denke, man kann aber durchaus sagen, dass einige Elemente daraus übernommen werden. Ich denke da insbesondere an Trachtenjacken, Lodenmäntel, Hirschhornknöpfe etc., die insbesondere im Süden getragen werden, die aber auch meine Verwandten aus MeckPomm, die aus dem ländlichen Umfeld stammen, bei Anlässen tragen - und gut damit aussehen.
Jetzt würde ich gern noch eine Zweite Unterscheidung machen. Teilweise wurde hier über den aktuellen deutschen Stil geredet ("was man heutzutage in Berlin Mitte sieht...unmöglich etc."), teilweise wurde versucht, eine Stilhistorie zu erstellen. Auch wenn sie diese Themen nicht völlig trennen lassen, sollte man doch nicht beides in einen Topf werfen.
Ich würde gerne einen kurzen geschichtlichen Exkurs einfügen:
Wenn man von einer Geschichte des deutschen Stils redet, kann man wahrscheinlich bis Ende d. 19. Jahrh. zurückgehen. Bestimmte Elemente wie etwa der Protestantismus sind zwar älter, eigentlich hat sich aber der "moderne Stil" der Männer ab dieser Zeit entwickelt. Ich bin kleidungshistorisch nicht sehr bewandert, aber ich denke, es ist eine sichere Wette zu sagen, dass die deutsche Geschichte seit diesen Tagen sehr bewegt war:
- Wilhelminisches Zeitalter
- 1. WK
- Roaring Twenties
- 2. WK
- Aufbauphase
- Wirtschaftswunder
- Generation 68
- 80er Jahre
- "Internetboom" der 90er
- Jetztzeit
So würde ich ganz grob viele verschiedene Phasen festmachen wollen. In der Zeit, in der andere Länder ihren Stil entwickelt haben, hatte Deutschland 2 Kriege plus damit einhergehende Aufbauphasen zu bewältigen. Nicht gut für den Stil. Ich denke, die Basis eines zu findenden deutschen Stils müsste im wilhelminischen Zeitalter (Stresemann etc.) sowie in den goldenen 20ern zu finden sein. Hier kenne ich mich leider viel zu wenig aus, um viel dazu zu sagen.
Nach 45 muss einfach klar sein, dass eine gewisse Verachtung für "Fashion" in Deutschland Usus war. Nicht wenige von uns werden von der sog. Nachkriegsgeneration aufgezogen worden sein. Diese mag auch zu Geld gekommen sein, Mode war aber für sie ein Luxus, den sie sich oft nicht erlauben wollte. Bescheidenheit war Trumpf. Das galt auch im Wirtschaftswunder: Dickes Auto war ok, aber kleidungstechnisch blieb man auf dem Teppich (Ausnahmen bestätigen immer die Regel).
Über die stiltechnisch verheerenden 68er muss man nicht reden, auch wenn ein Außenminister Joschka Fischer ja letztlich sehr gut gekleidet war und diese Generation für den Freizeitlook und alternativen Look viel geleistet hat.
Ich denke, Deutsche haben sich mit Mode erst wieder ernsthaft ab den 80ern beschäftigt. Zu spät, um wieder an typisch deutsche Eigenschaften anzuknüpfen? In dieser Zeit wurde viel, wie üblich, auch aus den USA übernommen, man hatte nicht das Selbstbewusstsein, stilmäßig einen eigenen Stiefel zu fahren.
In den 90ern mit dem Medienboom lässt sich wohl eine Auflockerung des Stils verbinden. Weniger Binder, schlankere, schickere Schnitte, Sneaker zum Anzug, solche Sachen.
Ich könnte mir vorstellen, dass jetzt die Zeit langsam reif wäre für authentische Deutsche Mode. Womit wir wieder bei der Anfangsfrage wären, was ist das eigentlich?
Angesichts unserer Geschichte glaube ich letztlich auch, dass der dt. Stil zumindest seit 45 eher von einer "sozialdemokratischen" Zurückhaltung geprägt ist. Nicht auffallen, weder positiv noch negativ. Deshalb auch Hugo Boss: Gut gekleidet, nie auffällig gekleidet (so war das jedenfalls früher mal bei der Marke). Ähnliches lässt sich wohl auch von den anderen deutschen Herrenmarken behaupten. Gleiches gilt für die Verarbeitung: Gut, aber ohne Schnörkel. Gleiches für die Farben etc.
Ich könnte mir vorstellen, dass ein " neuer deutscher" Stil dem skandinavischen ähnlich sein könnte. Auch dort war ein "sozialdemokratischer Stil" vorherrschend. Auch dort gibt es nicht "Die" Stilikonen wie bspw. bestimmte Muster oder Formen. Eher zurückhaltend als flashy, ohne die klassischen Elemente etwa einer englischen Mode, aber aus guten Materialien, mit Köpfchen entwickelt, alltagstauglich aber dennoch elegant. Als Freizeitlabels fallen mir da zB Marc O Polo oder Filippa K ein. Ich weiß nicht, ob etwas vergleichbares im Business-Segment exisitiert.
Langer Text, ob der Inhalt das aufwiegt, keine Ahnung - aber es ist ja ein wirklich interessantes Thema.