Arbeitsbedingungen in der Modeindustrie

Mater1984

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Angeregt durch die Diskussion im Susu Thread und die heutige Sendung auf ZDF

http://www.zdf.de/ZDF/zdfportal/pro...9719-4b4c-4f8a-9123-feef3ce4dc72?doDispatch=1

Möchte ich einen Thread eröffnen über die Arbeitsbedingungen in der Modeindustrie.
Im Beitrag wurde das Label "Made in Europe" gewissermaßen zerlegt.
Die Näherinnen in Rumänien verdienen gerade den dortigen Mindestlohn von 1,40 € die Stunde. Ein Sakko wird ohne Extras für 16 € genäht. Es wurden in einer Näherei Marken wie wie Drykorn, Glöckler etc. gefertigt.

Unterstützen wir diese Bedingungen mit dem "Ruf" nach günstiger Ware oder ist es die Profitgier der Unternehmen?


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Du bist Deutscher, lebst in Deutschland und hast jeden Tag Kontakt mit Deutschen, welchen Sinn soll die Frage haben? Du siehst die Gründe jeden Tag.

Die Frage kannst du dir sicher mit Leichtigkeit selbst beantworten.
Abgesehen davon, das in vielen anderen Branchen auch keine besseren Löhne bezahlt werden, man denen aber nicht so leicht ans Bein pinkeln kann ( Automobil, Maschinenbau, Anlagentechnik, Pharma und Chemie ), wird das Thema doch hier gebetsmühlenartig alle vier Wochen diskutiert.
 
Unterstützen wir diese Bedingungen mit dem "Ruf" nach günstiger Ware oder ist es die Profitgier der Unternehmen?
Es ist ein bisschen von beidem. Ein 150€-Van-Laack-Hemd wird in Vietnam genäht, wo der Durchschnittslohn noch deutlich unter Rumänien liegt und Näherinnen (meist sind es ja Frauen) auch eher am untersten Rand des Lohngefüges liegen. Von daher tendieren die meisten Unternehmen auch ohne Preisdruck zu dieser kostensparenden und margenerhöhenden Lösung. Andererseits wären Vass-Schuhe oder SuSu-Anzüge mit ihren vergleichsweise hohen Grundmaterialkosten ohne die Produktion in Niedriglohnländern niemals zu diesen Preisen zu haben und hätten damit auch keine Nachfrage.

Das Problem ist allerdings - wie hier schon öfter diskutiert - nicht so eindimensional. Die Werkbank der Modeindustrie (ob Tschechei oder Portugal oder Balkan oder Asien) beschäftigt viele niedrig qualifizierte Menschen, die auch in Hochlohnländern keine Großverdiener wären. Wenn wir diese Industrien in die Hochlohnländer zurückholen, haben wir alle weniger und schlechtere Schuhe, Hemden, Anzüge. Und diese Leute wären arbeitslos ohne Chance auf Besserung.

Solche Umstände bessern sich (aus der Erfahrung der Geschichte, Japan und Südkorea sind die jüngsten Erfolgsbeispiele von Aufsteigern in die erste Welt) nur über viele Generationen. Die Besserung braucht aber immer eine Start- und Übergangsphase, in der solche Gesellschaften in Ermangelung komplexerer Produkte vergleichsweise einfache Tätigkeiten zu geringen Lohnkosten ausführen, weil sie keine bessere Alternative anbieten können. Ihnen diese Tätigkeiten zu nehmen, weil wir sie als unsozial empfinden, nimmt ihnen (als Gesellschaft, nicht unbedingt als Individuum) jede Hoffnung auf Aufstieg und zementiert damit nur den Status Quo.
 
. Ihnen diese Tätigkeiten zu nehmen, weil wir sie als unsozial empfinden, nimmt ihnen (als Gesellschaft, nicht unbedingt als Individuum) jede Hoffnung auf Aufstieg und zementiert damit nur den Status Quo.



Ich hab gestern Abend vergessen noch dazu was zu schreiben zu dem Punkt. Man muss die Tätigkeiten ja nicht gleich zurückholen aus den Ländern. Die Frage ist doch ob man nachhaltig was verbessern kann als Käufer. Eine Erhöhung des Mindestlohns in den Staaten oder ähnliches getrieben von den Herdtellern. Freiwillige Projekte in den produzierenden Ländern. Solche Sachen
 
:confused: Verstehe ich nicht. Weniger, ok! Aber schlechter??? Warum?
Aus dem gleichen Grund. Wenn Kleidung durch die Bank weg teurer wird, gibt es bei gleich bleibender finanzieller Ausstattung zwei Möglichkeiten damit umzugehen: Weniger kaufen und/oder billiger kaufen. Klar, hier sind Armeen von Leuten unterwegs, die auch einfach weniger kaufen könnten, in der breiten Masse würde es aber auch zum Kauf einfacherer Ware führen.
 
Sind die jetzigen Waren aus genannten Ländern denn so hochwertig, dass man diesen "Standard" nicht halten könnte und kann Kleidung überhaupt noch schlechter werden? ... brauchst nicht Antworten... die Antwort kenne ich. In meinen Augen bleibt es eine Doppelmoral. Selbst ich kann nicht zu 100% nachkontrollieren, wie meine Stoffe hergestellt werden, die ich benutze. :mad:
 
Die Frage ist doch ob man nachhaltig was verbessern kann als Käufer.
Tut man schon, indem man kauft. Wenn einmal eine konstant steigende Nachfrage nach Arbeitskräften in dem Produktionsland angeregt wurde, steigen die Löhne von allein, das kann man in allen Emerging Markets beobachten und auch die Schweiz war noch vor gut 100 Jahren ein Niedriglohnland. Damit es nachhaltig wird, muss man vor allem der Sache die nötige Zeit geben.

Was hilfreich ist, um den Entwicklungsprozess zu unterstützen, ist, durch Nachfrage dafür zu sorgen, dass die auszuführenden Arbeiten qualifizierter werden, so dass sie nicht mehr jeder (auch in anderen konkurrierenden Regionen) ausführen kann. Also in unserem Beispiel Sakko > Hose > Hemd > T-Shirt > Socken. Dadurch wird die Nachfrage nach Arbeitskräften selektiver und die Löhne steigen für die Qualifizierten überproportional.

Langfristig ist die Entwicklung eines Landes natürlich auch von staatlichen Gegebenheiten abhängig. Korruption, komplizierte staatliche Prozesse (die häufig korruptes Verhalten der Staatsbediensteten begünstigen sollen), fehlende Entwicklung der Infrastruktur und der Bildung bremsen einen solchen Prozess selbst bei günstigen wirtschaftlichen Voraussetzungen.
 
Von daher tendieren die meisten Unternehmen auch ohne Preisdruck zu dieser kostensparenden und margenerhöhenden Lösung.
Andererseits wären Vass-Schuhe oder SuSu-Anzüge mit ihren vergleichsweise hohen Grundmaterialkosten ohne die Produktion in Niedriglohnländern niemals zu diesen Preisen zu haben und hätten damit auch keine Nachfrage.

Die Werkbank der Modeindustrie (ob Tschechei oder Portugal oder Balkan oder Asien) beschäftigt viele niedrig qualifizierte Menschen, die auch in Hochlohnländern keine Großverdiener wären. Wenn wir diese Industrien in die Hochlohnländer zurückholen, haben wir alle weniger und schlechtere Schuhe, Hemden, Anzüge. Und diese Leute wären arbeitslos ohne Chance auf Besserung.
Ihnen diese Tätigkeiten zu nehmen, weil wir sie als unsozial empfinden, nimmt ihnen (als Gesellschaft, nicht unbedingt als Individuum) jede Hoffnung auf Aufstieg und zementiert damit nur den Status Quo.

Sind die jetzigen Waren aus genannten Ländern denn so hochwertig, dass man diesen "Standard" nicht halten könnte und kann Kleidung überhaupt noch schlechter werden? ... brauchst nicht Antworten... die Antwort kenne ich. In meinen Augen bleibt es eine Doppelmoral. Selbst ich kann nicht zu 100% nachkontrollieren, wie meine Stoffe hergestellt werden, die ich benutze. :mad:

Vorweg: Ob Suit Supply tatsächlich höhere Grundkosten hat, da zweifle ich ein bißchen dran; der Umsatz macht's.

Der Unternehmer will (immer) so viel Gewinn machen, wie möglich ist oder möglich gemacht werden kann.
Mit Sicherheit will er nicht weniger als bisher in der Tasche haben. (Ausnahmen bestätigen die Regel).

Die Tricks einiger Unternehmer, den ihnen unerwünschten Mindestlohn anderweitig "auszugleichen", zeigen, dass nicht der Unternehmer (und/oder auch die in der oberen Etage: Geschäftsführer, etc.. zurücksteckt, sondern in aller Regel die einfachen Mitarbeiter.

Mogelpackungen, bei denen man sich einen besseren Anschein geben möchte im Bereich sozialer Standards oder Umweltverträglichkeit, machen die Sache nicht besser, hört sich aber schöner an. Und fördert vermutlich noch den Umsatz. ;)
(Daneben gibt es noch die typischen Mogelpackungen im Laden (Packungsgröße, Inhalt, Zutatenliste)... findige Unternehmern finden immer eine Lösung. ;)

In vielen Ländern ist die schlecht bezahlte Arbeit (auch Kinderarbeit) trotz allem sehr wichtig, um überhaupt einigermaßen leben zu können. Leider müssen in einigen Ländern der Welt auch die Kinder zum Erhalt der Familie beitragen, weil es oftmals nicht anders möglich ist. Schlecht bezahlte Arbeit ist immerhin besser als keine Arbeit - insbesondere da, wo es keine soziale Standards gibt. Wer kein Geld hat, fällt durchs Raster. Da lobe ich mir - bei aller berechtigter Kritik - den deutschen Sozialstaat.

Weniger Arbeiten müssen für einen Hungerlohn, bzw. Bezahlung für die bisherige Arbeit auf einem Mindestniveau plus soziale Absicherung plus (Aus-)Bildung der Kinder (ohne finanzielle exitstenzgefährdende Einbußen) braucht m. E. etliche Jahre, vermutlich mehrere Jahrzehnte.
Gerade im Billig-Ausland müsste so viel verändert werden, damit besseres Arbeiten und menschwürdiges Auskommen gesichert werden.

Die allermeisten Unternehmer könnten mit Sicherheit anders, wollen aber nicht. Dabei spreche ich jetzt von den deutschen (europäischen) Unternehmen. Es ist beschämend, dass in einunderselben Fabrik T-Shirts für Kik & Co. gefertigt werden und von teuren Designermarken.


Wie soll und kann sich was ändern? Warum ändern "Reformen" nichts oder nur wenig an den Umständen? Warum verschleiern viele Unternehmen bewusst (unangenehme) Fakten? Warum muss sich der Käufer immer mehr selber schlau machen, um über die Produkte Bescheid zu wissen? Warum sind Deklarationen meist wischi-waschi? Warum investieren Investoren nicht sondern treiben übernommene Firmen in die Insolvenz und machen dabei noch ihren Reibach? Warum knausern ausgerechnet Wohlhabende so gern und feilschen bei jedem Kauf wie auf einem türkischen Basar? Und so weiter und so fort...


Es bedingt ein politisches und ökonomisch-soziales Umdenken., mehr WIR, mehr Menschlichkeit! Ich seh's im Moment nicht. :mad:

Gegenseitiges Beharken, hinterfotzige Intrigen, Mitarbeiter als menschliches Verbrauchsmaterial betrachten, Lobbyismus im großen Stil, beruflicher Aufstieg aufgrund von Mobbing und darüber hinaus - laut versch. Studien tummeln sich viele Soziopathen in den Chefetagen -, finanzielle Gier, und unglaublicher Leistungsdruck.
es zählen nur die Allerbesten; soziale Fähigkeiten stehen eher hintenan und die Lernschwachen, Langsamen oder weniger Intelligenten sind mit (fast) allen Mitteln auf Vordermann zu bringen. Zeit, dies im eigenen Tempo und Rhythmus zu erarbeiten wird meistens nicht gewährt.

Das fängt nicht erst im Arbeitsleben oder in der Ausbildung an, sondern leider, leider bereits im KINDERGARTEN - oh doch, tatsächlich noch vor Eintritt in die Grundschule.
Eine Gesellschaft von mehrheitlich Egoisten sind wir; Karrieredenken über alles stellen... nach mir die Sintflut...

Dass echtes "Made in Germany" zu fairen Bedingungen und in guter Qualität möglich ist - wenn nur der Unternehmer eben AUCH sein Scherflein dazu beiträgt - zeigen wenige positive Beispiele: Finkhof (die leben halt auch ziemlich genügsam), Sina Trinkwalder, Max Aab...
Aabs kenne ich persönlich über etliche Jahre sehr gut: Es sind Unternehmer mit Verstand und Herz, die gute Produkte liefern, sich verbessern wollen; sie sind Arbeitgeber, die auf ihre Mitarbeiter vertrauen, sie fördern, und sich um sie (im besten Sinne) kümmern. Die Arbeitsbereitschaft der einzelnen Mitarbeiter sowie das Betriebsklima sind dann auch dementsprechend.

Es geht also sehr wohl anders!

VG, Jane
 
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