Anzug - Darf es auch ein Mischgewebe sein?

Hallo MtotheJ,

Kunstfasern treffen einfach nicht das Wertverständnis, dass der überwiegende Teil der Teilnehmer hier vertritt - es sei jedoch gleichzeitig gesagt, dass Sie vollkommen Recht haben, wenn sie sagen das sein eine individuelle Entscheidung.

Polyester im Anzug hat einfache ein gewisses "Gschmäckle", das ihm wohl auch noch eine gewisse Zeit erhalten bleibt :)
 
mal ganz davon abgesehen, dass Schuhe aus Kunstleder nicht von alleine glänzen....was spricht ernsthaft dagegen?

Das "so tief müssen wir doch nun bitte wirklich nicht sinken" verstehe ich nicht so wirklich!

Jede Faser hat Vor- und Nachteile. Mischgewebe existieren um die Vorteile von Kunst und Naturfasern zu verbinden. Meine Anzüge bestehen zwar alle zu 100% aus Schurwolle, aber ein Anzug mit einem geringen Kunstfaseranteil ist nicht zwangsläufig schlecht!
Um das Thema sinnvoll diskutieren zu können, sollten wir ausschließen, daß —und da sieht die Realität (bei aller Sympathie für die Verfechter der Hightechkunstfaser) in der Bekleidungsindustrie leider anders aus— dieser Vorteil ein rein finanzieller ist. Man braucht sich gar nicht erst die Illusion zu machen, daß im Oberstoff von Mischgewebeanzügen, wie sie hier diskutiert werden (Breitensegmentmarken in Kaufhäusern etc.), irgendeine besonders innovative oder Belastungsnutzen bringende Kunstfaser verarbeitet ist. In aller Regel sind die Oberstoffe, über die wir da reden, doch Gemische mit 25-50% Polyester und/oder einem geringen Prozentsatz an Elasthan. Das Polyester macht den Stoff in erster Linie billiger, weil einfacher zu produzieren (konstanter Preis, gleichbleibende Verfügbarkeit, geringerer EK), Elasthan macht den Zuschnitt des Anzuges billiger, weil keine übermäßigen Bewegungsspielräume einkalkuliert werden müssen (der Stoff gibt ja wesentlich stärker nach, somit braucht man auch weniger Stoff). Letztlich kann man durch die Beimischung jede Menge Geld sparen.

Daß nun die Lager bei einer solchen Debatte sehr gespalten sind, liegt doch in der Natur der Sache. Wenn man streng von der Kosten/Nutzenseite her argumentiert, braucht man keine Oberstoffe aus Naturfaser. Ebensowenig braucht man Schuhe aus Leder, Handknopflöcher, lose Einlagen oder Perlmuttknöpfe (man könnte die Liste mit etwas Ironie und Polemik fortsetzen: entsprechend schmutzabweisend ausgerüstete Materialien für die Oberbekleidung vorausgesetzt braucht man auch keine Unterwäsche, wer Klettverschluß kennt, braucht nie wieder Schnürsenkel zu binden, wer selten ohne Jacke aus dem Hause geht, braucht nur wenige Hemden mit Rücken oder Ärmeln etc.).
Da ein Thema wie Mode aber immer in hohem Maße emotional konnotiert ist, halte ich es auch für legitim, sich an einem Kleidungsstück (zumindest in einer gewissen Preisklasse) eben solche "vollkommen nutzlosen" Details wie handgestochene Knopflöcher, reine Naturfaser ohne Bedampfung mit Zusatzstoffen, die früher Schneider zeitig unter die Erde brachten (das ist keine Übertreibung) und lose verarbeitete Kragen-, Manschetten-, Revers- und Fronteinalgen zu wünschen, einfach, weil sie schön und gut sind. Oder, nach Balzac: "The brute covers himself, the rich man and the fop adorn themselves, the elegant man dresses!" Ich für meinen Teil möchte nicht "the brute" sein und bin froh darüber, mir über alles, was über die reine Funktion im Sinne von "das reicht doch" hinausgeht, das Privileg habe Gedanken machen zu dürfen.
 
(...) "The brute covers himself, the rich man and the fop adorn themselves, the elegant man dresses!" Ich für meinen Teil möchte nicht "the brute" sein und bin froh darüber, mir über alles, was über die reine Funktion im Sinne von "das reicht doch" hinausgeht, das Privileg habe Gedanken machen zu dürfen.

Schön gesagt! Darüber liese sich wahrscheinlich stundenlang philosophieren. Es hat für mich viel mit einer gewissen Wertschätzung dessen mit dem man sich umgibt zu tun und lässt sich auf viele Lebensbereiche übertragen. Einmal bei einem Schneider oder Stoffhändler die Bündel und Ballen durchblättern, die Stoffe fühlen, prüfen und darüber diskutieren...

lg AW
 
Ich würde gerne eine, wenn auch für die meisten hier nicht direkt relevante, Facette hinzufügen. Messe- und Funktionsbekleidung (auch Anzüge). Hier habe ich meine Meinung bezüglich Kunstfasern geändert. Die tägliche, sehr starke Beanspruchung, das häufige Reinigen und die Ausstattung des Personals mit einer limitierten Anzahl von Anzügen lässt hier wenig Raum für Naturfasern.

Ich habe selber schon an entsprechenden Kundenveranstaltungen teilgenommen, und zwar mit meinen eigenen Anzügen. Die Anzüge der "Polyester-Kollegen" sahen gegen Tagesende immer noch sehr frisch aus, was man von den meinen nicht behaupten konnte. Zu den Torturen für den Anzug gehörten:

Ständiges ein- und aussteigen in und aus Fahrzeugen
Längere Autofahrten mit Sakko (keine Zeit zum an- und ausziehen)
Regen
Flecke

ich würde meine eigenen Anzüge dafür kein zweites Mal hergeben wollen.
 
Ok, zugegeben ich habe an Baumwolle nicht an Schafwolle gedacht, mea culpa.

Muß man ja auch nicht da das nur ein hypothetischer Ansatz ist. Genauso wie Biodiesel. Es gibt nicht genug Schaafe um auch nur ansatzweise die Welt mit Wolle zu versorgen. Es ist und wird niemals mehr sein als ein Nischenprodukt.
 
Guten Morgen,

mal noch ein kleiner Nachtrag zum Thema, die Kunstfasern sind im unteren Preisbereich (gemeint sind Herstellkosten nicht Verkaufspreise) sehr hilfreich für vereinfachte maschinelle Produktion und Klebetechniken. Das geht in der Tat so günstiger zu produzieren.

Im oberen Segment sollte man sich zuerst fragen welche Ziele denn ein Hersteller dabei verfolgt. Ludwig hat sehr gut beschreiben was man verbessern könnte. Ich bin aktuell aber immer noch der Meinung das man sich die objektiven Vorteile mit zu vielen Nachteilen im Tragekomfort erkauft.

Die Entwicklung wird hier ganz sicher noch weiter gehen, nur eben nicht bei Herstellern die auf Tradition setzen.
 
(Breitensegmentmarken in Kaufhäusern etc.), irgendeine besonders innovative oder Belastungsnutzen bringende Kunstfaser verarbeitet ist. In aller Regel sind die Oberstoffe, über die wir da reden, doch Gemische mit 25-50% Polyester und/oder einem geringen Prozentsatz an Elasthan. Das Polyester macht den Stoff in erster Linie billiger, weil einfacher zu produzieren (konstanter Preis, gleichbleibende Verfügbarkeit, geringerer EK), Elasthan macht den Zuschnitt des Anzuges billiger, weil keine übermäßigen Bewegungsspielräume einkalkuliert werden müssen (der Stoff gibt ja wesentlich stärker nach, somit braucht man auch weniger Stoff). Letztlich kann man durch die Beimischung jede Menge Geld sparen.

Bei Kaufhausqualität Stimmt dies Selbstverständlich.
Ich weiß ich wiederhole mich, aber bei hochwertigen Stoffen kann sich ein Kunstfaseranteil positiv bemerkbar machen. Ein paar Vorteile wurden hier bereits genannt.
Und bei hochwertigen textilien wird KEIN unterschied im Tragekomfort zu bemerken sein, da bei einem guten Stoff die Kunstfaser die Haut nicht berührt. So wird beispielsweise bei verwendung von Elastan (zb Lycra) dieses von Naturfasern umsponnen. Somit sind die schlechten Trageeigenschaften (bei guten Stoffen, und kleinem Anteil an Naturfasern) sicherlich NICHT gegeben.

Ich muss hier noch einmal ausdrücklich festhalten, dass bei Stoffen mit niedriger Qualität, also Billigstoffen, Herr Kueblbeck auf jeden fall recht hat. Hier ist der Kunstfaseranteil aus Kostengründen, und von minderer Qualität.

Es ist aber meines Wissens nach nicht der Fall dass hochwertige Kunstfasern (zb Lycra) billiger sind als hochwertige Naturfasern.

Somit ist dies bei Hochwertigen Stoffen (ich weiss ich wiederhole mich) eine Geschmacksfrage, wobei hier Kunstfasern den Stoff bereichern können.

mfg
DeepB
 
Also dann greife ich lieber zu 100% Schurwolle, wenn ich unsicher bin....

Da kannst du aber auch billigste Fetzen erwischen. 100% Schurwolle sagt doch auch nichts über die Qualität des Stoffes aus.

Am Ende bleibt ja nur, sich entweder auf den Ruf der Webereien zu verlassen, oder den Stoff nach Aussehen und Griff zu beurteilen und zu riskieren, dass der Stoff den Anforderungen nicht gerecht wird.
Klar, Erfahrung hilft einem bei der Bewertung, das Schildchen 100% Schurwolle eher nicht.
 
Lieber Anti68er,

Sie werden kaum einen glühenderen Tweed-Anhänger finden als mich. Dennoch ist Ihre Darstellung ... doch ein wenig einseitig und vor allem in einer historischen Betrachtung nicht so ganz kritiklos hinzunehmen.

Herzliche Gürße aus dem heute ganz un-schottisch getragenen Donegal-Jackett,

dE

Erdöl kommt bei mir in den Tank.
Und Wolle will ich von Schafen haben, die in meiner Klimazone leben.
Das Merino Schaf kam aus Spanien und wurde in Australien auf viele und dünne Wollfasern optimiert. Aus Merinowolle und Polyester einen Stoff zu machen, das ist wie Plattenbau für Anzüge.

Wie wäre es mit einer Umfrage "Donegal vs. Harris Tweed" ? :D

Herzliche Grüße ohne Donegal Jackett (hab' ich vorhin ausgezogen).

Dein ultrareaktionärer und einseitiger Anti68er :D
 
Ich wundere mich eher

warum ich immer noch die den Unterschied zwischen Geweben mit Kunstfaser und reinen Naturprodukten fühle. Wenn ich durch Modehäuser, wie P&C (die ja eine recht breite Palette von Anzüge anbieten, schleiche und einfach die Stoffe berühre, dann spüre ich einfach einen großen Unterschied.

So auch bei S'Oliver: Vielleicht mag der Threadersteller eine große Ausnahme gefunden haben,. aber gerade bei S'Oliver wirken die Anzüge man schon von der Ferne vom Stoff einfach billig. In meinen Augen vollkommen überteuert, da giubt es schon andere Stangenware von anderen Anbietern zum gleichen Preis aus wesentlich hochwertigern Materialien.

Ich muß sagen, daß es mich sogar sehr wundert, daß Anzugsstoffe mit Kunstfaser sich immer noch so nach "Plastik" anfühlen. Ich kann es nur so erklären, daß hier Kunstfaser beigemischt wurde, um die Produktionskosten zu senken, aber hochwertige Kunstfaser eben immer noch viel Geld kosten würde. Deswegen kostet hochwertige Outdoorkleidung mit hochwertigen Kunstfasern auch recht viel Geld. Man vergleiche einen 50% Kunstfaser Pulli von H&M mit einem Vliespulli von Jack Wolfsskin hinsichtlich Qualität und Preeis. Hochwertige Kunstfasern würden für Anzüge wohl genauso viel kosten wie gute Naturfasern, wenn nicht mehr, deswegen werden sie bei besseren Anzügen auch nicht verwendet.

"GLaubensfragen", in dem Sinne, daß irgendwann die Liebhaberei und der emotionale Aspekt eine wichtige Rolle spieltz, fangen auf einem ganz anderen Niveau an, wie z.B. handgefertigte Schultereinlagen bei bespoke usw.

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Übrigens en freundliches Hallo in die Runde, das hier ist mein erster Post. :)
 
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