Schon der Ansatz, sich ein quietschbuntes Stück Stoff an den Hals zu binden, stellt doch einen bewussten Bruch mit der Förmlichkeit des restlichen Outfits dar. Dutzende Forumsmitglieder verschwenden wertvolle Lebenszeit darauf, jeden Morgen den perfekten Knoten zu binden und diesen dann mit einem, zwei oder mehr "Dimpeln" zu versehen. Mir schaudert es ob dieser Lässigkeit. Es soll ja sogar Zeitgenossen geben, die einen four-in-hand wegen seiner "schönen Asymmetrie" bevorzugen.
Und wer auch immer auf die Idee kam, seine Rotzfahne bauschig in die Brusttasche zu stopfen, gehört nachträglich aus diesem Forum verbannt, gemeinsam mit dem "Ahnungslosen", der als erster beschloss, dass sein unterster Sakkoknopf offen bleibt.
Man kann zu der Sinnhaftigkeit einzelner Bestandteile eines sartorialen Outfits stehen, wie man will (quietschbunte Krawatten sind ein Thema für Karneval, zusammen mit den roten Clownnasen), die gekonnte Kombination aller Bestandteile macht es gerade aus. Wenn man etwas davon weglässt, ist es, als würde man sich nur einen Schuh anziehen. Oder einen Schuh und einen Pantoffel. Kann man natürlich machen, es ist ja gerade der Witz, dass man alles machen kann, aber das meiste davon nicht gut aussieht, weil es nicht mehr zusammenpasst. Dass das so ist, stellt jede neue Generation, die das in den letzten hundert Jahren versucht hat, auf's Neue fest. Warum nicht einfach mal aus der Geschichte lernen? Man muss keinen klassischen Anzug tragen. Aber wenn man ihn trägt, sollte man ihn tragen, wie er getragen werden soll. Nicht, weil man ein kleidungsgesetzestreuer Spießer ist, sondern weil man sich ein paar Gedanken darum machen sollte, warum das genau so aufeinander abgestimmt wurde und wie die Einzelteile zusammenspielen.
Die Frage ist doch eigentlich umgekehrt, warum man ein solches Outfit tragen, aber trotzdem gleichzeitig damit brechen möchte, weil das ja alles so schrecklich konventionell und verkrampft ist.
Die Antwort darauf hat absolut nichts mit Ästhetik zu tun, sondern mit dem Wunsch nach Abgrenzung, nach Individualität selbst auf Kosten der Ästhetik. James Dean ist schon lange tot, aber noch in jedem adoleszenten Kopf präsent.
Auf der Ebene ist es dann schwer zu diskutieren, weil man ja eigentlich gar nicht darüber redet, warum man sich mit Krawatte und offenem Hemd als kleiner, cooler Rebell fühlt.
Es ist absurd, natürlich, deswegen redet man darüber nicht. Nicht absurder als der Möchtegern-Dandy mit den fünf sorgfältig kombinierten Mustern im Outfit, aber auf eine sehr viel simplere, plumpere, uninteressantere Weise.
Freuen wir uns doch einfach, dass sartoriale Mode durch diese Beispiele wieder im Aufwind ist.
Das ist sie trotz dieser Beispiele, nicht wegen ihr.
Und der Aufwind ist auch sehr verhalten.