Noch mal, weil’s so schön ist

Die schönsten Shoppingerlebnisse in meinen Studententagen waren die Jagdausflüge in der Londoner King’s Road. In den späten Achtzigern fand man dort in einigen Secondhandläden gebrauchte Kleidung vom Feinsten. Auch die Oxfam-Filiale am Sloane Square galt als Fundgrube, mit etwas Glück hingen dort kaum getragene Savile-Row-Anzüge, die einem zufällig annähernd passten.

Secondhandläden sind für mich Modemuseen, in denen man sogar kaufen kann. Es ist zwar schwerer geworden, wirklich schöne Teile auszugraben, doch dafür gibt es heute ja Ebay. Mit etwas detektivischem Geschick lassen sich dort immer noch sehr interessante Schätze heben. Manch einer rümpft über getragene Kleidung zwar die Nase, ich sehe es dagegen als legitime Variante des Recycling, die modischen Antiquitäten noch ein paar Jahre weiter zu nutzen. Obendrein spart es Geld und man gerät eventuell sogar an Sachen, die es so nicht mehr gibt.

Oft werden selbst bewährte Klassiker von einem übereifrigen Produktmanager verschlimmbessert, da hilft dann nur der Rückgriff auf die bereits im Umlauf befindlichen Exemplare. Neulich habe ich z. B. ein Barbourjacke in Kindergröße von privat gekauft. Es handelt sich dabei um die ältere Baureihe eines Klassikers, bei der das Logo noch nicht auf der Tasche prangt. So habe ich Geld gespart und obendrein etwas ergattert, was ich im Laden gar nicht mehr finde. Mein sensationellster Fund in Sachen Preis-Leistung war eine Hermès-Krawatte, die ich vor ca. 15 Jahren aus einer Grabbelkiste in einem Kilo-Shop gezogen habe. Ich glaube, ich habe dafür eine Mark bezahlt, dazu kam dann noch die Reinigung. Neben der Freude über den schönen Binder kam die Genugtuung, für wenig Geld eine echte Rarität bekommen zu haben. Schließlich erscheinen diese Krawatten als limitierte Auflagen.

Beim Adel ist es geradezu Pflicht, gebrauchte Kleidung aufzutragen, es gilt dort als Ausweis besonderer Vornehmheit, im Cut des Großvaters zu heiraten oder den Burberry-Trench vom verstorbenen Onkel zu übernehmen. Da die Kleiderschränke in diesen Kreisen ohnehin voller Second-Hand-Teile sind, fallen Zukäufe vom Flohmarkt gar nicht weiter auf. Wer sieht schon, ob der patinierte Lodenmantel ein Erbstück ist oder aus dem Secondhand-Shop stammt? Nächste Woche geht es um einen der Best-Dressed-Man der Welt.

Bernhard Roetzel

Bernhard Roetzel ist Stilexperte und Autor des Standardwerks „Der Gentleman. Handbuch der klassischen Herrenmode„. Im Stilmagazin veröffentlicht er wöchentlich eine Kolumne in der er sich Stilfragen und aktuellen Ereignissen widmet. Alle Artikel von Bernhard Roetzel.

Kategorie: Magazin

Bernhard Roetzel

Bernhard Roetzel schreibt über Herrenmode und verschiedene Stilfragen. Der Bildband "Der Gentleman. Handbuch der klassischen Herrenmode" ist seine bekannteste Publikation, sie liegt in fast 20 Übersetzungen vor.

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