Von der Kunst sich zu binden

Natürlich besitzen Sie eine. Nein zwei. Oder mehr. Die meisten besitzen zu viele: Die Rede ist von Krawatten. Daß der Gentleman eine gut sortierte Krawattenschublade sein Eigen nennen sollte, ist klar. Nicht auf den ersten Blick zu deuten ist dagegen die Beobachtung, daß die allermeisten Männer zu viele und zudem meist eher suboptimal ausgewählte Exemplare vorweisen können. Um für die Basisgarderobe tauglich zu sein, muß eine Krawatte weit mehr Kriterien erfüllen, als einfach nur gut auszusehen.

Die Seide Ihrer Krawatten sollte von hervorragender Qualität sein. Diese zu beurteilen ist freilich nicht ganz einfach, der Laie sieht sich in Anbetracht der Unmengen von Webarten, Garngewichten und Zurichtungen – versuchen Sie einmal, eine ancient madder dye von einer modern madder dye auf Anhieb zu unterscheiden – meist schlicht überfordert. Glücklicherweise ist das beste Mittel zum qualitativen Beurteilen ganz gleich welches Stoffes jedem von uns gegeben: Die Hand. Die Meinung über ein Gewebe – und Krawattenseide bildet hier keine Ausnahme – sollten Sie von seiner Haptik abhängig machen. Eine Krawatte, die sich nicht gut anfühlt, wird auch nie besonders gut aussehen, da die Textur der Seide ein Muster – ganz gleich ob gedruckt oder gewebt, erst zum Leben zu erwecken vermag.

Die Verarbeitung einer Krawatte ist bei genauer Betrachtung längst nicht so universell, wie man zunächst vermuten könnte. Sollten Sie schon einmal in den Genuß gekommen sein, Ihre Krawatten bei der Traditionsmanufaktur Marinella in Neapel bestellt – Marinella ist auf Maßkrawatten spezialisiert – oder gekauft zu haben, dürften Sie verstehen, worauf ich hinaus will. „Ich möchte eine Krawatte kaufen.“ ist dort beileibe keine hinreichende Äußerung: Soll Sie drei-, vier-, sechs- oder gar siebenfach gefaltet sein, wird eine eher weiche oder starre, dicke oder dünne Einlage, ein kleiner oder eher großer Knoten bevorzugt? Dies sind nur einige der Fragen, auf die sich der ambitionierte Krawattenkäufer hier gefaßt machen sollte.

Eine gute Krawatte ist stets handgemacht oder zumindest handfinished, das bedeutet, daß mindestens die finale Naht auf der Rückseite, die das fertig gefaltete Produkt zusammenhält, von Hand ausgeführt ist. Sehr gute Krawatten sind überdies von Hand gefaltet, idealerweise ist auch die Einlage und das Futter von Hand genäht, kurzum: Die über jeden Verdacht erhabene Krawatte sieht nie eine Näh- oder sonst irgendwie geartete Maschine. Dies garantiert ein Maximum an Volumen, Elastizität und damit letztendlich Haltbarkeit. Natürlich muß eine teilweise maschinell gefertigte Krawatte nicht grundsätzlich schlecht sein. Im Grunde sind Sie auch hier mit einer Griffprobe sehr gut beraten. Letztendlich nützt die subtilste Handarbeit wenig, wenn das Endprodukt den Kunden nicht überzeugt.

Seien Sie beim Anfassen der Krawatte nicht zu zimperlich: Knautschen und ziehen, zupfen und rollen Sie, wie es Ihnen beliebt; eine gute Krawatte wird soetwas nicht ruinieren. Denken Sie nur daran, was dieselbe Krawatte einen ganzen Arbeitstag lang in der Knotenregion erleiden muß. Das Innenleben einer Krawatte, die Einlage, werden Sie so gut wie nie zu Gesicht bekommen. Die Meisten Hersteller halten Sich zudem meist eher bedeckt, was die genaue Zusammensetzung der Einlage angeht. So viel sei an dieser Stelle verraten: 100% Seide bedeutet keinesfalls, daß die Krawatte vollständig aus dem genannten Material besteht. Diese Auszeichnung gilt in der Regel nur für das Obermaterial und idealerweise auch für das Futter der Krawatte, das sogenannte tipping. Das ist der Teil der Krawatte, der auf der Rückseite der breitesten und schmalsten Stelle zu sehen ist, bevor die Faltung beginnt. Budgetorientierte Hersteller verwenden bereits hier keine Seide sondern Viskose. Viele italiensiche Hersteller, darunter auch Marinella, verwenden auf der Rückseite dieselbe Seide, die auch auf der Vorderseite zum Einsatz kommt. Dies muß allerdings nicht zwangsläufig ein Qualitätsmerkmal sein: Der ohne Zweifel herrausragende englische Hersteller Drake’s verwendet beispielsweise kontrastierende Seide.

Im Inneren der Krawatte kommen, je nach gewünschter Krawattendicke, Leinen, Baumwolle und Schurwolle – oft auch in Kombination – zum Einsatz. Sollten Sie also eine leichte, weich fallende Krawatte bevorzugen, achten Sie auf eine dünne Einlage, die zudem nicht zu hart ist, etwa eine aus leichter Wolle.
Es gäbe noch viele Details zu diskutieren, die eine gute von einer sehr guten Krawatte unterscheiden, letztendlich verfährt in punucto Feinarbeit jeder Hersteller ein wenig anders und so bleibt es wiederum Ihnen überlassen, welcher Manufaktur Sie vertrauen. Verlassen Sie sich auf den Fühltest, kann nicht mehr allzuviel schiefgehen.

Für den Anfang und als Basis der gepflegten Garderobe reichen einige wenige Krawatten, darunter mindestens eine einfarbige – ich empfehle besonders dunkelbraun oder -blau – völlig aus. Darüberhinaus ist man mit sogenannten neat designs, kleinen geometrischen Mustern auf einfarbigem Grund, zu fast jedem Hemd gut beraten. Zuguterletzt sollte Ihrem Kleiderschrank ein Exemplar mit Regimentsstreifen für sportlichere Anlässe nicht fehlen. Um vermeintlich lustige Motive sollten sie einen ebensogroßen Bogen machen wie um allzu modische Krawattenbreiten. Derart ausgestattet dürften Sie der Mehrzahl gesellschaftlicher Gelegenheiten gewachsen sein – gut gebunden.

Kategorie: Herrengarderobe, Krawatten

Florian S. Küblbeck

Florian S. Küblbeck ist freier Journalist und schreibt vor allem über Mode, Stil und Genuss. Mit seinem Erstwerk "Was Mann trägt: Gut angezogen in zwölf Schritten" gab er 2013 sein Debüt als Buchautor.

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