Wir können euch hier eine Leseprobe zur Raw Denim Jeans aus dem neuen Buch „Was Mann trägt. Gut angezogen in zwölf Schritten“ von Florian S. Küblbeck präsentieren, die uns der Verlag freundlicherweise zur Verfügung gestellt hat. Das Buch erscheint in den nächsten Tagen im C.H.Beck Verlag, bei Amazon ist es bereits vorbestellbar. Ich finde die Leseprobe reiht sich wunderbar in die vielen interessanten Artikel ein, die Florian hier im Stilmagazin in der Vergangenheit veröffentlicht hat!
Mein Rezensionsexemplar ist vorgestern eingetroffen, sodass ich in Kürze auch etwas mehr zum Buch berichten kann.
Die Raw Denim Jeans
An der Jeans scheiden sich die Geister – und das nicht erst seit gestern. Im Grunde genommen ist die Jeans seit ihrer Entstehung vor mittlerweile etwa 100 Jahren eines der umstrittensten Kleidungsstücke überhaupt. Diese dauerhaft ambivalente Haltung gegenüber einer simplen Hose hat eine einfache Motivation: Kaum ein anderes Kleidungsstück wurde derart nachhaltig zweckentfremdet wie die Jeans. Von ihrer ursprünglichen Rolle als robuste Arbeitshose der Goldgräber bis zum heutigen Status als Allerwelts und Freizeithose mit zahlreichen Manifestationen auch in der Luxuskategorie der Herrenkleidung war es ein weiter Weg. Die Gründe, aus denen man eine Jeans lieben oder hassen konnte, dazwischen scheint es auch heute noch wenig Kompromisspotenzial zu geben, haben sich freilich mindestens so sehr verändert wie die Trageanlässe dieser Hose.
Geschichte
Eigentlich wurde die Jeans in den USA von einem heute nicht ganz unbekannten Unternehmer namens Levi Strauss als feste und haltbare, dabei wartungsarme Arbeitshose für das Schürfergewerbe erfunden. Ihr Schnitt war dem der um 1910 verbreiteten Tuchhose nachempfunden, also weit und gerade im Beinverlauf, hoch in die Taille gearbeitet und mit Hosenträgern zu befestigen. Auch als Latzhose war die Jeans bereits damals beliebt, schon wegen der zusätzlichen Taschen, die sich im Latz unterbringen ließen. Als Stoff kam ein relativ dicker, aus grobem Garn gewebter Baumwolltwill zum Einsatz, der mit natürlichen Pigmenten, häufig mit sogenanntem Indigo, einem tiefen Blauton eingelassen war und durch starke Überfärbung eine möglichst glatte und widerstandsfähige Oberfläche bilden sollte. Diese Überfärbung war auch der Grund, warum die Jeans bereits kurz nach ihrer Einführung scharfer Kritik ausgesetzt war: Zu fest, zu hart und bockig sei die neue Hose und deshalb für eine Tätigkeit in Bewegung vollkommen untauglich.
Diese Meinung konnte man freilich mit etwas Tragezeit revidieren, wenn sich der zugegebenermaßen brettartige Charakter des Materials erweicht hatte. Dennoch blieb die mangelnde Bequemlichkeit, die das robuste Material mit sich brachte, lange ein handfestes Argument gegen die Jeans. Das ist insofern verwunderlich, als heute Bequemlichkeit eines der größten Argumente für das Tragen der Jeans zu möglichst vielen Gelegenheiten darstellt. Die Zeit des großen Goldrausches verging, doch die Jeans blieb. Sie wurde als generelle Arbeitshose und oftmals einziges Beinkleid der einfachen Leute adaptiert und fand immer mehr Anklang und entsprechende Verbreitung. Ihr Schnitt veränderte sich dabei ständig, lediglich das Material und die grundsätzlich einfache Verarbeitung blieben erhalten. Die Geschichte der westlichen Welt und ihres Befindens lässt sich damit ein Stück weit auch am Schnitt ihrer Jeans ablesen. So geht der heute übliche körperbetonte Schnitt mit niedriger Leibhöhe und schmalem Bein auf die ersten Modell zurück, die nach dem Zweiten Weltkrieg produziert wurden. Die damalige Materialknappheit machte eine Überarbeitung des bis dahin gängigen weiten und stoffverschlingenden Schnittes nötig; die daraus resultierenden Proportionen des Beinkleids waren im Rahmen des Zeitgeschmacks durchaus revolutionär.
Schnitt und Details
Eine moderne Jeans bedient sich in der Regel aus einem von zwei stilistischen Portfolios: Die weite Passform mit großzügigem Bein, oft mit breiten Aufschlägen getragen, orientiert sich an Modellen der 1920er und 1930er Jahre, während die enge Passform mit ihrem schmalen, nach unten eng zulaufenden Bein auf Schnitte der 1950er Jahre zurückgeht. Beiden ästhetischen Extremen gemein ist eine relativ einfache, ungefütterte Verarbeitung mit doppelten Wäschenähten und ein möglichst gerader, auf industrielle Fertigung optimierter Schnitt. Weithin mit Jeans assoziierte Verarbeitungsdetails wie Nieten an den Taschenecken und ein dicker, gelber Baumwollfaden, mit dem alle sichtbaren Nähte der Hose gearbeitet sind, sind zwar gebräuchlich, allerdings keine unentbehrlichen Erkennungszeichen. Aus pragmatischer Sicht sind die weit verbreiteten Nieten an der Hose auch gar nicht erstrebenswert, weil sie bei hastigen Bewegungen Möbelstücke verkratzen können. Der Schnitt einer Jeans besteht aus möglichst vielen geraden Linien und wird auf eine möglichst vollständige Stoffausnutzung hin berechnet. Die Jeans ist damit ein genuines Industrieprodukt, weshalb eine Maßanfertigung auch aus historischen Gründen nur sinnvoll ist, wenn körperliche Gegebenheiten sie unbedingt erforderlich machen. Wer eine Jeans tragen will, muss sich auch mit ihrer Herkunft und Natur anfreunden, oder er lässt es lieber bleiben. Wie bei der Chino läuft eine Maßanfertigung dem einfachen, genügsamen Charakter der Jeans nun einmal zuwider. Übliche Jeansschnitte mit ihren großen Toleranzspielräumen sehen auch keine Feinheiten vor, bei denen die individuellen Körpermaße berücksichtigt oder gar interpretiert werden müssten. Traditionell wird eine Jeans mit Knöpfen geschlossen; und zwar ausschließlich mit Knöpfen. Ein Reißverschluss hat so gesehen an einer Jeans nichts zu suchen. Die Knöpfe waren ursprünglich aus Messing, sind heute jedoch meistens aus Blech. Jeansknöpfe werden nicht, wie etwa ein Jackenknopf, mit einem Seidengarn auf Stiel genäht, sondern durch den Oberstoff gestanzt. Wie bei jedem anderen Knopf gilt auch hier: Je massiver und griffiger der Knopf, desto hochwertiger das Material, und je hochwertiger das Material, desto besser der Knopf.