Der perfekte Anzug

Was ein Anzug mindestens haben muss, um im Alltag tragbar und einigermaßen resistent gegen Verschleiß zu sein, wissen Sie mittlerweile. Andernfalls empfehle ich meinen Wegweiser zum ersten Anzug. Natürlich endet die Reise für die meisten Männer nicht mit dem Kauf dieses einen Anzugs. Sind erste Erfahrungen mit der Materie gemacht, wollen viele gerne weiterhin Anzug tragen — wozu hätten sie sonst schließlich gelernt, darin besser auszusehen als der Großteil ihrer Kollegen?

Konsequenterweise geht jede weitere Entwicklung qualitativ nur in eine Richtung: Nach oben. Wer gelernt hat, einen soliden Anzug zu schätzen, weiß das gewisse Quäntchen an Verbesserung, das einige Euro mehr in der Anschaffung bringen können, umso mehr zu lieben. Die einzig sinnvolle Alternative, zum Beispiel bei notorisch knapper Kasse, dazu wäre, auf der bereits erprobten Qualitätsstufe zu bleiben — und das kann auf Dauer ganz schön langweilig werden. Deshalb lernen Sie hier, wo besagte Reise durch die Anzugwelt enden kann (aber nicht muss): Beim perfekten Anzug.

Der perfekte Anzug sollte, wie jeder andere Anzug auch, gut passen. Dieses Kriterium ist eigentlich derart selbstverständlich, dass es zu erwähnen überflüssig sein sollte. Was „gut passen“ auf Basisniveau aber von dem an der qualitativen Spitze unterscheidet, ist der Schnitt oder vielmehr dessen Sorgfalt. Im Schnitt eines Anzugs der Spitzenklasse steckt unendlich viel mehr Mühe in der Herausarbeitung einer perfekten Passform. Der Schnitt des Massenanzugs ist dagegen darauf ausgelegt, nur soviel Zuschneideaufwand wie unbedingt nötig und so viele gerade Nähte wie nur irgendwie möglich zu erzeugen. Dass bei diesem Verfahren die eine oder andere Feinheit auf der Strecke bleiben muss, versteht sich von selbst.

Was dabei herauskommt, wenn man den Schnittdirektor das machen lässt, was er gut kann, sieht man im Vergleich mit einem einfachen Anzug oft schon auf dem Kleiderbügel. Wo der Basisanzug vor allem durch gerade Flächen glänzt, zeigt der Top-Anzug sanfte Kurven über der Brust, um die Taille und am hoffentlich makellos fallenden Ärmel. Dieser lebhafte Eindruck am Kleiderbügel unterstreicht am Träger dessen Körperkonturen und lässt den Anzug so leichtfüßiger, eleganter wirken.

Darüber hinaus zeichnet sich der perfekte Anzug dadurch aus, dass er den Schnitt an allen Stellen verknappt, an denen es sinnvoll und elegant ist. So ist das Armloch beispielsweise nicht weiter, als nötig. Was sich zunächst unbequem anhört, steigert in Wahrheit den Tragekomfort, denn so wird die Bewegung des Ärmels von Rücken und Vorderteil der Jacke entkoppelt — die Jacke sitzt auch in Bewegung besser. Dieser Eindruck wird von einem aufwendig geschnittenen Ärmel, der sich zum Handgelenk hin deutlich verengt, noch unterstrichen. Ganz ähnliches lässt sich am Halsring, an der Taille oder im seitlichen Brustbereich feststellen: Überall dort passt der perfekte Anzug spürbar besser, rahmt seinen Träger gleichsam etwas enger ein, als dies beim Basis-Anzug möglich wäre.

Natürlich unterscheiden sich Breite und Spitze der Anzugqualitäten nicht nur in Äußerlichkeiten. Verlässt man sich beim Gros der verkauften Anzüge heute auf Automatisierung und verklebte Einlagen, darf man beim perfekten Anzug eine deutliche Steigerung des Verarbeitungsaufwands erwarten. Sämtliche verwendete Einlagen im Sakko wie auch im Hosenbund sollten unfixiert, vernäht und pikiert sein. So werden nicht nur die ursprünglichen Vorzüge des Oberstoff deutlicher spürbar. Auch in Sachen Pflege ist der Anzug dadurch dankbarer — keine Chance für Bläschen auf der Sakkobrust durch gelöste Klebe-Einlagen. Gleiches gilt für die Schulterpolster, die auch bei strukturierten Jacken flexibler und angenehmer zu tragen sind, als bei einfachen Anzügen.

Zuletzt die unausweichliche Frage: Was kostet so ein Anzug? Dazu sollte zunächst in aller Klarheit gesagt werden, dass der perfekte Anzug nicht notwendigerweise maßgeschneidert sein muss. Auch wenn der Maßanzug in Sachen Passform (einen guten Schneider vorausgesetzt) unübertroffen ist, kann schon der Unterschied zwischen einem einfachen und einem hochwertigen Konfektionsanzug groß ausfallen. Schnäppchen im landläufigen Sinn sind aber sicher weder Maßarbeit noch High-End-Konfektion. Der perfekte Anzug kostet von der Stange mindestens 1.500 Euro. Doch wie auch bei hochwertigen Schuhen relativiert sich der hohe Kaufpreis durch eine lange Tragedauer und unvergleichlichen Komfort.

Kategorie: Herrengarderobe

Florian S. Küblbeck

Florian S. Küblbeck ist freier Journalist und schreibt vor allem über Mode, Stil und Genuss. Mit seinem Erstwerk "Was Mann trägt: Gut angezogen in zwölf Schritten" gab er 2013 sein Debüt als Buchautor.

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