Zeitreise zurück nach 1840

schattensaite

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Hallo Freunde des guten Bekleidungsgeschmacks.

Mittlerweile hat sich auch in Deutschland ein Charles-Dickens-Festival nach Niederländischem Vorbild als Rahmenhandlung für zum Beispiel Weihnachtsmärkte etabliert - zum Beispiel dickensfestival.de oder dickensfestijn.nl. Dabei geht es darum, nach den sogenannten Mittelaltermärkten, eine etwas stilvollere Kulisse zur Zeit der Romanfiguren von Charles Dickens zu schaffen. Als einer der darstellenden Protagonisten, stellt sich mir nun also die Frage, was man(n) zu der Zeit getragen hat, wenn man zur privilegierten Klasse gehörte.

Konkret die Frage: Was trug der gut angezogene Herr in der Zeit um 1840 als Tagesanzug?

Der Cutaway hat den Sprung vom Reitmantel zum anerkannten „Morning-Coat“ meines Wissens zu der Zeit noch nicht geschafft. Vermutlich trug der feine Herr also den althergebrachten, knielangen Gehrock mit Taillennaht und breitem, aufstrebenden Revers. Welche Farbe und Stoffmuster hatten diese Gehröcke wohl zu der Zeit? Schwarz oder dunkelblau mit dezentem Fischgrät oder einfach (glatt) gebürsteter Woll-Loden?
Welche Weste trug man dazu? Einreihig, grau und ohne eigenes Revers?
Hose ohne Bügelfalte und ohne Umschlag in schwarz oder Stresemannhose in grau/schwarz?
Welche Art von Schuhen würde man heute dazu etablieren? Oxfords wurden ja erst Jahrzehnte später „erfunden“. Knöchelhohe Derbys?
Weißes oder eierschalenfarbiges Hemd mit abgedeckter Knopfleiste und Umschlagmanschetten?
Fliege, Plastron, Ascot, Krawatte und zu welchem Kragen – wenn man es in die heutige Zeit adaptiert (also möglichst kein Vatermörderkragen!)?
Über ein paar Ideenvorschläge von Eurer Seite würde ich mich sehr freuen. Gern auch Verweise auf hilfreiche Literatur und Bezugsquellen – sofern man es nicht selbst schneidern muss.
Für Frauen gibt es zahllose Schnittmustervorlagen für die Art der damaligen Kleider mit diesem neckischen Steißbeinpolster und den auf den Hintern drapierten Rüschen. Für Männer scheint es da schwieriger zu sein, Kleidung in Anlehnung an die Epoche um 1840 zu bekommen.

Vielen Dank für Anregungen, Vorschläge und Berichtigungen,
Karsten
 
Danke Bartholomäus, der Shop von Darcyclothing kannte ich noch gar nicht. Da kann ich schon mal ein wenig Stöbern. Die Bilder der Studenten aus dieser Zeit sind allerdings wohl ebensowenig repräsentativ für dass, was der "Mann-von-Welt" zu dieser Zeit trug - wie es in unserer heutigen Zeit auch nicht repräsentativ ist, was die Oxford-Studenten heute als Schuluniformen im Gegensatz zur Straßenkleidung der aktuellen Upper-Class tragen. Ich schaue mal durch ob ich eine Anregung finde. Auch dafür vielen Dank.

Was ich mir wünschen würde, zu finden, wäre eine Art Warenkatalog aus dieser Zeit. Von meinen Rasiermessern gibt es solche Warenkataloge. Auch wenn sie nicht farbig sind, ließe sich aus den Beschreibungen und Abbildungen sicherlich etwas bessere Rückschlüsse her leiten. Da frage ich mich gerade, woher denn die Film-Requisiteure ihre Vorlagen für die Charaktere der historischen Zeit bekommen.

Vielleicht fällt ja noch dem Einen oder Anderen hier ein Hinweis auf entsprechende Literatur ein.
 
Die von mir verlinkten Bilder der Studenten zeigen tatsächlich die Alltagskleidung der priviligierten Klasse. Dazu gehörten Studenten zu der Zeit. Verbindungsabzeichen wie Band und Mütze kann oder sollte man allerdings weglassen und stattdessen einen hohen Zylinder tragen.
Allerdings haben es die abgebildeten Studenten der Biedermeierzeit sicher etwas bequemer angehen lassen, als es die Mode der Zeit vorgab. Das hier sagt Wikipedia zur damaligen Mode:
https://de.wikipedia.org/wiki/Biedermeier#Herrenmode
Trendsetter war demnach Beau Brummel.
Das Handwerker und Arbeitermillieu dagegen sieht man z.B. hier:
https://www.wikiart.org/en/mihaly-munkacsy/strike-1895
Dass Oxford-Studenten eine Uniform tragen ist mir neu. Allenfalls bei Universitäts Zeremonien trägt man dort schlecht sitzende schwarze Anzüge mit Talaren soweit ich weiß. Damit haben aber die von mir verlinkten Bilder nichts zu tun. Es handelt sich bei den Bildern nicht um zeremonielle Kleidung.
 
Vielen Dank, das bringt mich ein gutes Stück weiter.

Bei meinem Besuch in Oxford liefen tatsächlich die schlecht sitzenden Plastikanzüge mit Capes an mir über den Campus. Ich ging davon aus, dass es quasi einer Schuluniform entspricht, welche man dort täglich tragen muss.
 
Statt Katalogen helfen vielleicht auch bebilderte Portraits, so wie dieses hier von August Bebel.

Da gibts bestimmt noch mehr, vielleicht sollte man sich die Bücher über eine Bibliothek besorgen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Vielleicht fällt ja noch dem Einen oder Anderen hier ein Hinweis auf entsprechende Literatur ein.

Reden wir von Charles Dickens, so reden wir selbstverständlich auch vom viktorianischen Zeitalter. So ist es uns ein leichtes Unterfangen, den Herrn höchst persönlich zu den Kleidungsgewohnheiten seiner Zeit zu befragen. Mit chirurgischer Präzision beschreibt er in seinem literarischen Werk die Gewohnheiten seiner Landsleute in den diversen sozialen Milieus. Welch' Glück, hier einen der herausragendsten Vertreter jener Kunstepoche, die sich der exakten Wiedergabe von Naturbeobachtungen widmete, in den Zeugenstand rufen zu können.

„Sieht man aber einen Mann von etwa vierzig oder fünfzig Jahren, welcher eilig eine Nebenstraße hinabschlürfte, sich so nah als möglich an die Häuser hindrückte, alte, grobe, fadenscheinige, schwarze Kleider trägt, die von beständigem Gebrauch glänzen, als wenn sie gewichst wären, dessen Beinkleider enge anliegen und durch Stege weit hinabgezogen sind, teils damit sie besser aussehen, teils damit ihm seine alten Schuhe ausschlappen sollen, der fein vergilbtes weißes Halstuch überdies noch noch stets angeheftet hat, um das abgetragene zerlumpte Weißzeug darunter zu verbergen, der ferner seine Hände in den Überbleibseln von ein Paar Biberhandschuhen stecken hat, so darf man ihn hieher unter die Klasse der Schäbiggentilen zählen.“

Zu lesen ist dies und weitere Kleidungsbeobachtungen in den „Skizzen aus dem Londoner Alltagsleben,“ dessen Autor immerhin honoriges Mitglied of the Royal Society of Arts war.Und apropos schwarz, welche Farbe könnte man wohl mehr mit der Herrschaft „Her Majesty Victoria, by the Grace of God,“ den Rest spare ich mir, assoziieren? Keine andere Farbe soll sie jemals noch getragen haben, nachdem sie in bitterstem Schmerz ausrief, „o mein Liebster“ und in stummer Verzweiflung auf die Knie fiel. Und viele ihre Untertanen taten es ihr nach, also das Tragen schwarzer Klamotten.

Wenn wir mehr über die Kulturgeschichte der Farbe schwarz in der Kleidung erfahren wollen, so hat Sir John Harvey als respektable Quelle äußerst Werthaltiges vorzulegen. Sein unter „Man in Black“ erschienenes Werk sollte mit zum Besten gehören, was der Buchmarkt dieses Genres vorzuweisen hat.
 
Keine andere Farbe soll sie jemals noch getragen haben, nachdem sie in bitterstem Schmerz ausrief, „o mein Liebster“ und in stummer Verzweiflung auf die Knie fiel. Und viele ihre Untertanen taten es ihr nach, also das Tragen schwarzer Klamotten.

Prinz Albert von Sachsen-Coburg und Gotha (Victoria Ehemann) ist 1861 gestorben. 1840 war noch bunt, auch bei den Briten.
 
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