Umfassendes Geschichtsbuch

Geschichte der Neuzeit, eine Vorlesung, ein Seminar.
Betreffende Freundin nimmt als Vorlesung "Geschichte des Autos". Eigentlich ziemlich spannend und an sich gut. Aber das soll dann alles über die Neuzeit sein? Im Zweifel für das ganze Studium?

Die Diskussion würde jetzt zu weit führen und ein wenig abschweifen, aber ein Geschichtsstudium ist nicht primär auf die Vermittlung von Sachwissen ausgerichtet, sondern auf dessen Analyse. Das Auto ist also weniger Gegenstand als Beispiel kulturgeschichtlicher Forschung, zugegebenermaßen ein ziemlich griffiges. Unabhängig von den Veranstaltung, die man belegt, oder der Uni, an der man studiert, muss man selbst und viel lesen. "Bücher fressen" wäre vielleicht der treffendere Ausdruck und da ist der gemeine Studierende vielleicht gar nicht so weit von unserer Ausgangsfrage. "Was lesen?" ist nämlich auch da die zentrale Frage.
Mein Eindruck ist aber, dass es solche Einführungsvorlesung überhaupt erst seit etwa zehn Jahren wieder verstärkt gibt. Aber die Klage darüber wie sich das Studium seit Bologna verändert ist ein anderes Thema, das führt jetzt wirklich zu weit. ;-)
 
Mit ungenügendem Sachwissen wird die Analyse aber schwierig. In jedem Fach.

Das wird auch Historian sicherlich nicht bestreiten. Der Punkt ist: Im Mittelpunkt des Studiums steht – idealiter – das Erlernen (geschichts-)wissenschaftlicher Methodik anhand exemplarischer Themen (Quellenkritik und -analyse, eigenständige Recherche und Erarbeitung von Forschungsliteratur, theoretische Zugänge, Entwicklung eigener Forschungsfragen etc.). Dabei wird natürlich auch Sachwissen vermittelt, dessen gründliche und breite Aneignung jedoch in der Eigenverantwortung der Studenten liegt. Dafür gibt es in Vorlesungskommentaren in der Regel Hinweise auf vorbereitende und einführende Literatur, und auch in Vorlesungen werden häufig Literaturlisten zur eigenständigen Vertiefung ausgegeben. Ob das dann wirklich gelesen wird, steht natürlich auf einem anderen Blatt...
 
Ich habe mich noch mal erkundigt: Es gibt durchaus auch Überblicksvorlesungen a la "Antike/Mittelalter/Neuzeit im Überblick".

Auch der Fokus der Analyse kann ich wunderbar nachvollziehen, aber dennoch denke ich, daß man nach einem Geschichtsstudium einen gewissen "Wissensfundus" besitzen sollte, bzw. einige Dinge/Namen einfach zwingend gehört haben sollte.
Geschichte studiert zu haben und z.B. nicht zu wissen, wer Wallenstein ist, fände ich schon ein schwaches Bild.

Vielleicht bin ich auch nur ein wenig ob des Vergleichs mit dem Jura-Studium erstaunt. Der Arbeitsaufwand liegt bei Geschichte - wenn man nicht freiwillig über das Studium hinausliest - so wie es mir scheint, doch deutlich unter dem, was ich aus Jura so kenne.
Aber ich erhebe hier keinen Anspruch auf Richtigkeit - für eine wirklich fundierte Meinung müsste ich noch ein Geschichtsstudium hintendran hängen... Mal schaun ;)


Was ich aber noch empfehlen kann - um auf die Ausgangsfrage zurück zu kommen, ist der Gebhardt (Handbuch der deutschen Geschichte). Was ich davon bisher gelesen habe, hat mir sehr gut gefallen.
Aber zugegebenermaßen - man braucht für ihn extrem viel Zeit, sind ja immerhin ca. 20 Bände.
 
Naja miles - es ist doch immer die Frage, WIE man studiert oder? Und an welcher Uni.. und bei welchem Hochschullehrer. Wir in Heidelberg hätten uns - auch aktuell noch - kein gefälliges Nichtstun erlauben können, was nicht heißt, dass sich einige nicht durchgemogelt haben. Schaue ich aber, etwa in die Germanistik nach Mannheim, kann ich nur die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, wenn ich es mit HD vergleiche.. Von daher ist es wohl in rein gesellschaftswissenschaftlichen Fächern sehr abhängig von der Uni.

Den ereignisgeschichtlichen Hintergrund kriegt man, so wie DgL oder Abkanzler das gesagt haben, so oder so mit.

P.S. Ich hab mich beim Uni Rugby immer gewundert, wie wenig die Juristen machen :D
 
Da stimme ich Headknocker zu, wie man studiert ist der springende Punkt. Sicherlich ist Geschichte kein Paukfach, was sowohl mit dem Fach selbst, als auch mit einer spezifischen Lehrkultur zu tun hat. Ich kann mich allerdings daran erinnern, dass mehrere juristische Freunde von selbst ihrem Fach die Wissenschaftlichkeit absprachen. Also vielleicht hinkt der Vergleich da auch einfach. ;)
Scherz beiseite: Für meinen Geschmack sollte man ein gewisses Maß an intrinsischer Motivation mitbringen, sonst ist man im Studium eh nicht gut aufgehoben.

Sicherlich gibt es die Überblicksveranstaltungen. Nur gab es sie zum Beispiel vor zehn Jahren an meiner alten Uni noch nicht bzw. seit den 1970ern nicht mehr. In dieser Zeit hat sich was Lehre und Lernverhalten angeht sehr vielverändert. Aber früher hat man eben oft auch nicht Geschichte in Gänze studiert, sondern Alte Geschichte oder Mittlere und Neure oder Osteuropäische oder eben ein anderes Teilgebiet.
Damit fehlte einem dann der allgemeine Überblick, für die tiefere Kenntnis des eigenen Teilfachs und die bereits angesprochenen Methoden war das aber gar nicht schlecht.
 
Ich habe mich noch mal erkundigt: Es gibt durchaus auch Überblicksvorlesungen a la "Antike/Mittelalter/Neuzeit im Überblick".

Auch der Fokus der Analyse kann ich wunderbar nachvollziehen, aber dennoch denke ich, daß man nach einem Geschichtsstudium einen gewissen "Wissensfundus" besitzen sollte, bzw. einige Dinge/Namen einfach zwingend gehört haben sollte.

Ja klar, natürlich gibt es Einführungs-/Überblicksvorlesungen zu bestimmten Epochen und Themenfeldern. Solche Überblicksvorlesungen machen aber nur den kleineren Teil des Studiums aus, und prinzipiell lassen sie sich durch eigenständige Lektüre ersetzen. Anders formuliert: Um sich historisches Faktenwissen anzueignen, muss man keine Universität besuchen. Der wesentliche Aspekt ist die Arbeit in den Seminaren, die gemeinsame Quellenlektüre und -interpretation, die Diskussion von Forschungsliteratur, die eigenständige Aufbereitung und Präsentation von beidem in Referaten, das Verfassen von Hausarbeiten gleichsam als Fingerübung in wissenschaftlichem Arbeiten. Wie aufwendig ein geschichts- und allgemein ein geisteswissenschaftliches Studium ist und wie groß der Überblick ist, den man hinterher über das Fach hat, hängt dabei sehr stark vom individuellen Engagement und Interesse ab, das stimmt. Allerdings kann es nicht die Aufgabe der Dozenten sein, bei jedem Studenten durch Abfragen das Vorhandensein historischer Allgemeinbildung (über deren Inhalte sich auch wieder trefflich streiten ließe) sicherzustellen – das wäre eher die Aufgabe des Geschichtsunterrichts in der Schule.

Hierin unterscheiden sich die Geisteswissenschaften grundsätzlich von Fächern wie Jura oder Medizin, die einen festen Kanon berufsrelevanten Wissens vermitteln und wo demenstprechend jede Studentengeneration durch den mehr oder weniger selben Lehrstoff in der immergleichen Reihenfolge gepaukt wird. Das war auch mit ein Grund dafür, dass ich nach zwei Semestern mit VWL aufgehört habe; Wirtschaft als wissenschaftliches Thema finde ich nach wie vor interessant und wichtig, aber das Studium war intellektuell einfach zu einschläfernd :). (Dass man im Zuge Bachelor/Master-Reformen versucht hat, ein ähnliches verschultes Schema auf die Geisteswissenschaften zu übertragen, bei denen das einfach nicht funktionert, ist wieder ein anderes Thema…).

Für einen kleinen Eindruck hier einfach mal das aktuelle Veranstaltungsverzeichnis des Seminars für Mittlere und Neuere Geschichte in Göttingen: https://univz.uni-goettingen.de/qis...t120141=167859|166171|159644|160197&P.vx=kurz

Und Miles, diese Veranstaltung in Konstanz wäre bestimmt auch was für Dich gewesen :): https://lsf.uni-konstanz.de/qisserv...hConfFile=webInfo&publishSubDir=veranstaltung
 
Die Geschichte der Menscheit finde ich zu umfangreich für ein paar Bücher. Man kann das Thema betrachten aus dem Blickwinkel Politik, Geisteswissenschaften, Wirtschaft, Naturwissenschaften, Technik, Kunst und vielem mehr.

Teilweise gehen diese ineinander über und bedingen sich. Die Dampfmaschine sorgt für Änderungen in der Wirtschaft, die gotische Kathedrale bildet das Sozialsystem und Weltbild ab, überlegene Technik ist ein gerne gesehener Argumentationsverstärker in der Realpolitik (vom Minie-Geschoss über das Truthahnschießen bei den Marianen bis zum Einsatz von Apaches gegen durchgeknallte Fusselbärte).

Du kannst also verschiedene Zusammenhänge nur erfassen, wenn Du, nach Deinen Interessenslagen, vernetzt denkst. Bücher erfassen das oft nur am Rande und je nach Spezialisierung des Autors, welche seine Perspektive bestimmt.

Ich würde einen gemischten Ansatz wählen. Als Einstiegshappen gute, populärwissenschaftliche Bücher. Diese vedichten teilweise sehr schön Informationen und geben genügend Hinweise auf teilnehmende Akteure und deren Motivation. Als Beispiel für Wirtschaft: "The Quants" von Scott Patterson listet sowohl die technischen, wirtschaftlichen, politischen und persönlichen Faktoren auf, welche zur letzten Wirtschaftskrise führten. Ähnlich ist "Der Crash" von Klingaman zur 1928er Krise. Sehr lesenswert, weil man daraus gut Parallelen zu aktuellen Entwicklungen. Management und dem politischen Geschehen ableiten kann.

Solche Bücher gibts für fast alle Themengebiete und die Autoren beleuchten ein Thema sehr viel breiter als bei einer einzelnen Entwicklung.

Auch in diese Richtung geht etwa Harald Lesch. Im verständlichen Schnelldurchgang bekommst Du bei "Die Elemente, Naturphilosophie, Relativitätstheorie & Quantenmechanik: 4 Vorlesungen" erhebliches Grundlagenwissen. Und er ist ebenfalls recht breit aufgestellt.

Danach würde ich die interessanten Themen vertiefen mit absoluten Fachbüchern und Wikipedia.

Mich interessiert neben der reinen Faktenauflistung auch die Motivation der Protagonisten und mögliche Ableitungen auf aktuelle Themen. Dafür brauche ich einen Überblick oder ein Gefühl, was drumherum los ist. Bei Bedarf gehe ich dann viel tiefer.

Ich habe es mir zur Angewohnheit gemacht, öfter mal in Wikipedia herumzustöbern. Dort bekommst Du die Informationen systemimmanent komplett vernetzt und oft gut aufbereitet.

Die Historiker mögen meine etwas unorthodoxe Herangehensweise nachsehen.
 
Interessanter thread. Meine Empfehlung: einmal "Götter, Gräber und Gelehrte", einmal "Der Kampf um Rom", und der Rest folgt dann quasi per vollständiger Induktion... ;)
 
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