Schluss mit dem Akademisierungswahn!

Würde ich grundsätzlich so unterschreiben. Einer meiner Lieblingscartoons aus dem New Yorker zeigt einen König, der deklariert: " Weil ich ein gebildeteres Volk Wünsche habe ich beschlossen jedem Subjekt ein Diplom auszuhändigen zu lassen."

Was noch dazu kommt ist die Undurchlässigkeit des deutschen Klassenbildungssystems. Potenzielle Hochqualifierte aus unteren Schichten werden ab Grundschule systematisch zugunsten "Bürgerlicher" ausgesiebt und zu wenige kommen an der Uni überhaupt noch an. Andererseits ist die Hälfte der Abiturienten nicht studiengeeignet und viele haben neben mangelnder Kompetenzen nicht einmal ein Interesse an den Dingen, die ein Studium etwa der Geisteswissenschaften erfordert, z.B. sehr viel lesen. Es ist nun aber auch mit der Bolognareform alles was nur möglich war falsch gemacht worden...
 
Leider stimmt das was dgl sagt ich bin gerade mit meinem Abi fertig und werde oft schief angeschaut , weil ich eine Ausbildung mache. Hinzukommt das ich wohl nicht um ein Studium umher komme, wenn ich was erreichen möchte. Desweiteren werden auf Arbeit Leute bevorzugt eingestellt die ein Studium haben auch wenn diese schlechter sind als die ohne...
 
Lokii, vielleicht wäre es eine clevere Idee, nach dem Abi die Grundlagen der deutschen Rechtschreibung zu lernen, dann könnte das mit dem Studium tatsächlich ein Option sein.
 
Grundsätzlich möchte ich gern wiedersprechen was die mangelnde Durchlässigkeit des Systems angeht.

Meine Eltern haben beide "nur" eine Ausbildung gemacht. Genau so meine Großeltern. Dennoch konnte ich auf's Gymnasium gehen und studieren.

Ich glaube vielmehr es ist eine Frage der Erziehung, die darüber entscheidet, welchen Weg ein Kind geht. Meine Eltern haben mir immer vermitteln können, wie toll es ist, lernen zu dürfen. Wenn ein Kind aber nach Hause kommt und als erstes lernt, dass Hausaufgaben und Mathe Mist sind … was Hänschen nicht lern.

Das zweite Problem ist der "Wert" einer Ausbildung und damit verbunden, der "Wert" von Haupt- und Realschulabschlüssen.

Bildung ist leider ein Politikum, damit die Ergebnisse passen, wird das Niveau also gesenkt. Das Abitur ist eine lächerliche Veranstaltung, die sich mit purem Auswendig lernen bewältigen lässt, der Hauptschulabschluss garantiert nicht einmal Deutschkenntnisse - von Fremdsprachen, Allgemeinbildung und anderen grundlegenden Fähigkeiten ganz zu schweigen.

Das liegt einerseits daran, dass die Kinder viel zu uneinheitlich an Schulen kommen, in denen es große Kurs- und Klassengrößen den Lehrern nicht erlauben, diese Unterschiede angemessen zu behandeln.

Das liegt aber auch daran, dass es viel zu oft en vogue ist eine "Kompetenz" zu haben. Das klingt schön und wichtig. Hilft mir aber nicht, wenn mein Sprachregister so beschränkt ist, dass ich nicht weiß, was es bedeutet. Es wird wegignoriert, dass es manchmal eben nicht ohne Faktenwissen geht.


All das führt dann dazu, dass junge Menschen, die eine gute Ausbildung anstreben, zwei bzw. drei Jahre damit zubringen, sich auf wissenschaftliches Arbeiten an einer Hochschule vorzubereiten, weil der eigentlich für eine Ausbildung gedachte Abschluss ihnen den Zugang zu diesen Ausbildungen nicht erlaubt.

Dann müssen Arbeitgeber junge Menschen mit Abitur einstellen, obwohl die einen Haufen Fähigkeiten erlernen mussten, der gar nicht gefragt ist, um sicher zu gehen, nicht die "Vollpfosten" zu bekommen.


Meiner Meinung nach gibt es also keinen Akademisierungswahn, sondern eigentlich drei Grundlegende Probleme:

Bildung rentiert sich langsamer als eine Legislaturperiode dauert, also werden Ergebnisse geschönt um beim Wähler zu punkten.

Bildung ist für eine Gesellschaft wie unsere die rentabelste und gleichzeitig nachhaltigste Investitionsmöglichkeit überhaupt. Dennoch sieht sich weder der Staat, noch Private in der Verantwortung hier zu investieren. Gerade letztere könnten in den USA das ein oder andere lernen, finde ich. Das fängt beim wichtigsten Punkt - dem Personal - an (Lehrer sind unbeliebt und noch schlimmer unrespektiert, wie nie, dazu schlecht bezahlt und wer sie engagiert wird im Lehrerzimmer gemobbt) und endet bei Räumlichkeiten, Ausstattung und lästigen Bürokratiemonstern wie dem Föderalismus.

Und schließlich und am wichtigsten: In diesem Land muss ich drei Jahre lernen, bevor ich Brötchen verkaufen darf. Kinder kriegen darf jeder Trottel. Weil man den Leuten schlecht das Kinder kriegen verbieten kann, muss man also viel viel intensiver prüfen, ob die Umstände, unter denen das Kind aufwächst, geeignet sind, ihm eine schadlose und chancenreiche Entwicklung zu ermöglichen.



Bei aller Jammerei darf man aber nicht vergessen, dass wir auf hohem Niveau jammern. Ich habe während meiner Schulzeit längere Zeit Schulen in Frankreich (wenn auch mit englischsprachigem Unterricht) und Norwegen besucht und kann nur sagen: Selbst das vielgelobte "skandinavische" Bildungssystem ist lächerlich niveaulos, vom stupiden Mitschreiben in französischen Schulklassen ganz zu Schweigen.

Wir reden uns traditionell gern schlecht und meckern über Gott und die Welt. Tatsache ist aber: Die Basis ist da und die Basis ist nicht die schlechteste. Jetzt müsste man bei frühkindlicher Erziehung und Bildung ansetzen, Geld in Schulen investieren und den Lehrerberuf so attraktiv machen, dass "Deutsch und Englisch auf Lehramt" kein Verlegenheitsstudium mehr ist.


Ps: Ich entschuldige mich für die Länge. Ich habe solange mit engagierten Lehrerinnen und Lernen gegen die Windmühlenflügel der Bürokratie in NRW gekämpft, da geht es jedes Mal mit mir durch.
 
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Wieder ein Thread zum deutschen Bildungssystem, mit Potential zum Endlosthema :)
Und direkt 10 Baustellen in den ersten Antworten aufgerissen.

(Kurz zu mir: Schreibe momentan meine Masterarbeit und war Testkaninchen beim ersten Zentralabitur in NRW)

1. Schulabschluss

Ja, es wird immer einfacher und Schulabschlüsse verlieren ihren wert. Insbesondere Hauptschulabschluss und Mittlere Reife sind kaum noch das Papier wert auf dem sie stehen. Das kommt zum einen durch das sinkende Niveau an den Schulen (schlechte, unmotivierte Lehrer, Schüler die weder Deutsch noch die Muttersprache der (Groß-)Eltern richtig sprechen können, Systemfehler), als auch durch die Veränderungen am deutschen Arbeitsmarkt. Es werden in Deutschland nur noch wenige einfache Arbeitskräfte benötigt. Der Berg- und Tagebau wird langsam aber sicher eingestellt, Fertigungsbetriebe werden in Niedriglohnländer ausgelagert oder mit Robotern bestückt usw. Was an Arbeitsplätzen in den nächsten 20 Jahren noch in Deutschland bleibt kann kaum noch von einfachen Arbeitskräften erbracht werden. Natürlich müssen auch dann noch Regale eingeräumt und Kassen besetzt werden, aber dafür fallen genug durchs Raster, als dass dafür aktiv ausgebildet werden muss.


2. Universitätsreform

Ich beneide alle die es noch in einen Diplom-Studiengang gekommen sind. Dass war noch richtiges Studieren.
Bei mir im Bachelor hieß es vor allem schnell und viel auswendig lernen. Da wurden dann innerhalb von ein paar Tagen 300-400 PPT-Folien "gelernt", in der Klausur aufs Papier "gekotzt" und danach wieder vergessen weil die nächste Klausur schon bevorsteht und das Kurzzeitgedächtnis mit neuen Informationen gefüllt werden muss. Maximum waren 6 Klausuren in 11 Tagen(Freitag bis Montag). Das ganze hieß bei uns nur Bulimie-Lernen.
Im Master wurde es dann besser. Zum einen hatte man mehr Wahlmöglichkeiten bzgl. der Kurse, zum anderen gab es viel weniger Klausuren sondern Ausarbeitungen und Vorträge die man halten musste.
Insgesamt kann ich allerdings ein positives Fazit für mein Studium fassen. Jetzt wo ich anfange das Wissen praktisch in Geschäftsideen einzusetzen, fällt auf wie viel hängen geblieben ist oder zumindest in kürzester Zeit gefunden und gelernt werden kann. Das ist mMn. auch das Endscheidende bei einem übergreifenden Studiengang wie meinem. Wir sind nicht als "Fachidioten" sondern als Allrounder ausgebildet worden.


3. Lehr- oder Leeramt

Lehrer mögen in Deutschland zum Großteil unbeliebt und wenig respektiert sein, aber dass nicht ohne Grund.
An meiner Uni studieren die meisten Studenten auf Lehramt. Ein Freund von mir, der aus der Region kommt hat mir gesagt, dass von den Leuten aus seinem Jahrgang welche studieren fast alle Jungen und alle Mädchen bei uns an der Uni Lehramt studieren. Bei mir in Köln an der Schule gingen 2 von gut 100 Abiturienten Lehramt studieren. Daraufhin habe ich mich umgehört warum die Leute Lehramt studieren. Tenor war: "Ich wollte nicht direkt arbeiten gehen, also wollte ich studieren. Ich wollte aber auch nicht von zuhause ausziehen oder weit weg, weil das unpraktisch/unbequem ist. Deshalb blieb nur hier die Uni und weil ich nichts mit Informatik machen will blieb nur noch Lehramt." :eek:
Diese Erklärungskette habe ich mehrfach so direkt oder nett umschrieben gehört.
Gern wurde auch genannt: "Als Lehrer hat man viele Ferien und früh Feierabend."
Das heißt diese Leute wollen nicht Lehrer werden, sondern werden es weil sie zu faul oder feige sind von zuhause weg zu gehen und zufällig nichts besseres an der Uni angeboten wird. An der Uni werden Lehrer herangezüchtet die nach wenigen Jahren keine Lust mehr auf ihre Arbeit haben, kein sonderliches Interesse an den Kindern und die restlichen Jahre als Koleriker und Kinderhasser an Schulen rumlaufen.
Solche Leute werden dann später auf meine Kinder losgelassen und ich soll noch Respekt vor ihnen haben? :confused:
Natürlich gibt es auch Ausnahmen (hatte selbst das Glück mit einigen Wenigen) und viele Fehler im System führen zu dieser Situation. Trotzdem ist es so.
 
Bei aller Jammerei darf man aber nicht vergessen, dass wir auf hohem Niveau jammern.

Generelle Zustimmung. Persönlicher Vergleich: Betreuung von Studenten in Deutschland (Naturwissenschaftler > Mediziner [gibt mir einfach den Schein, ich bekomm darauf keine Note] > Lehrämtler & Wissenschaftsjournalisten) und in den USA.

In den USA ist die Schule vollkommen für den Axxxx! Der Sinn des Bachelor besteht darin, alle auf ein ähnliches Niveau zu bekommen (deshalb müssen die auch so was wie Mathe, Geschichte und Englisch belegen, egal was sie eigentlich studieren).
Aber die USA sind riesig und die Top-Unis ziehen halt auch die Top-Ausländer an :D
 
"Akdamisierungswahn" ist schon der richtige Ausdruck.
Ein Großteil der Bürger ist der Meinung, nur mit einem Studium wird man später einen angesehenen Job ergattern und nur mit dem glücklich und erfolgreich leben. Dies ist falsch. Den wahren Allrounder und Spezialisten findet man in Menschen, die eine praktische Ausbildung als Grundlage bekommen haben und sich dann weitergebildet haben. Diese "Generalisten" sind gerade in Mittelständischen Betrieben sehr gefragt.

Leider werden beruflichen Weiterbildungen im Gegensatz zur akademischen Weiterbildung von der Gesellschaft nicht finanziert. Es gibt zwar den Meisterbafög, aber im Vergleich zum kostenlosem Studieren sind das absolute Peanuts (eine Meisterausbilung kostet sehr schnell 12.000 € inkl. Verdienstausfall).

Dass der von der Gesellschaft finanzierte Akademiker im Durchschnitt auch noch deutlich mehr verdient als der Praktiker, ist ein Rätsel für mich.

Die Lösung:
Jeder Neugeborene bekommt einen Gutschein über 20.000 €. Damit kann er sich nach seiner Pflichtschulzeit seine Bildung / Selbstständigkeit finanzieren und geht automatisch gewissenhafter mit der Ressource um.
 
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