Ein morgentliches Vergnügen mit Tradition – von Erik Kormann

Erik Kormann ist gemeinsam mit Xenia Trost Inhaber der Berliner Seifenwerkstatt „1000 & 1 Seife„. Für das Stilmagazin verfasst er einen Artikel zum Thema Rasur, einem Ritual dem er sich auch auf seinem Blog ausführlich widmet.

Es ist ein einfaches Ritual, welches für wenige Minuten den Tag in Ruhe beginnen läßt; fast schon ein kontemplativer Moment. Ein erster Blick aus dem Fenster am Morgen, Nachrichten, Tee und die Katzen in der Küche. Bert Brecht in der Früh ist allemal besser als die sich monoton wiederholenden Hiobsbotschaften aus dem Radio – Vergnügungen.

Rasierseife und Silberspitz, Messer oder klassischer Rasierhobel mit zweischneidiger Klinge. Traditionelle Rasierwerkzeuge, deren Handhabung Konzentration, Übung und Ruhe erfordern. Und immer, wenn ich das Messer über den Riemen ziehe, den Pinsel auf der Seife kreisen lasse und mir einen wunderbaren Schaum selber herstelle, kommt es mir vor, als würde die Zeit langsamer ablaufen. Entgegen allen Moden und schreienden Werbeversprechen wähle ich für die Rasur jene altmodischen Werkzeuge – Rasierapparate oder Messer -, mit denen sich schon mein Großvater rasierte und die mir das Gefühl von Tradition und Zeitlosigkeit vermitteln. Duschen, Schwimmen, Alte Musik und ganz wichtig, Bequeme Schuhe. In all der Hektik, dieser lärmenden und kurzlebigen Umgebung, bleibe ich mir auch in diesem Punkte treu. Zudem fassen sich die Dinge gut an und sie entwickelten im Lauf der Jahre einen gewissen Charme, der sie mir noch vertrauter und eigen erscheinen läßt. Der wunderbare Duft des Rasierpinsels, der glänzende Stahl der Klinge oder der so schlicht wirkende Rasierhobel, der so perfekt wie ein gutes Messer rasiert und das mit nur einer Klinge.

Körperpflege ist nicht nur ein reinigender Akt, den ich schnell hinter mich zu bringen wünsche und ich benötige dafür auch keine bekannten Vorbilder. Ich erschaffe mich nicht jeden Tag neu, ich gebe mir kein anderes Image, ich bin weder auf der Suche nach mir selbst noch möchte ich ein anderer sein; ich will mich wohlfühlen und das Gefühl haben, selbst entscheiden zu können – Begreifen. Fernab vom Mainstream benutze ich ein richtiges Stück Seife unter der Dusche, welches von Tag zu Tag die Form zwischen den Händen verändert und langsam kleiner wird – Dialektik. Dazu ein unverwechselbarer Duft, ein seltenes und gutes Parfum, welches mir einfach nur gefallen muß. Denn kein Duft der Welt macht aus mir einen anderen und ich merke, wie ich mit zunehmendem Alter immer weniger den Wunsch verspüre, mich den aktuellen Moden nach auszurichten. Die Freiheit, so sein zu können, wie ich es mir selber aussuchte, ist eine hohe Form des Glücks, ein Vergnügen.

In der Vorbereitung zu diesem Kommentar kam mir ein längst vergessenes, wiedergefundenes Buch erneut in den Sinn, auch das eine Brechtsche Empfehlung. Und dann der Ulysses von James Joyce, der mit einer Naßrasurszene beginnt: Buck Mulligan blickte mißmutig auf den Seifenschaum an seinem Rasiermesser (…) Sauerei! Schrie er dumpf. Gestatten der Herr mal die Rotzfahne, daß ich mein Messer abwischen kann? Und wenn ich darüber nachdenke, worin der besondere Wert der Selbstrasur wohl liegt, dann fallen mir diese vergnüglichen Momente ein. Wobei man hier nicht in jedem Falle dem Meister folgen sollte. Schließlich stammt von Joyce auch der Tipp, den Rasierpinsel gleich in der Seife stecken zu lassen, weil das die Haare weicher machen würde. Glauben sie mir, ein guter Silberspitz hat dies gar nicht nötig und betrachtet man die Lebensumstände des großen Dichters, dann hat dieser vermutlich einen Rasierpinsel mit Schweineborsten genutzt. Pflegen sie die Dinge (ein schöner Rasierhobel hält ewig), pflegen sie die Rituale und nehmen sie sich Zeit. Es ist ein unglaublich wohliges Gefühl, eine Rasierseife in der Hand aufzuschäumen. Das tropfnasse Gesicht am Morgen, die sahnige Konsistenz des Schaums zwischen den Fingern, die kreisenden Bewegungen des Pinsel, das Geräusch einer scharfen Klinge auf der Haut – lauter schöne Dinge, die man sich selber bereiten kann, für die man niemanden braucht und die von hoher Wertbeständigkeit sind. Funktionstüchtig ist der alte Rasierapparat des Großvaters noch immer und sogar der Rasierpinsel wurde an mich vererbt. Ein Wert, den ich nicht in Gebrauchseigenschaften bemessen kann. Wie viele Einwegrasierer haben sie schon gekauft? Wie viele Dosen Rasierschaum entsorgt und wie oft wechselten sie von zwei, auf drei, auf vier und noch mehr Klingen? Was brachten die scheinbare Zeitersparnis aus der Dose und die noch sicherere Handhabung?

Fragen über Fragen, die ich mir nur selber beantworten kann und Patentrezepte habe ich schon gar nicht zu bieten. Man muß sich ja auch nicht naß rasieren, eine Krawatte macht noch lange keinen Gentleman und das Geld spielt schon gar keine Rolle, wenn es um die Frage geht, wie man sich stilvoll gut rasiert. Doch wenn es meine Zeit im Geschäft erlaubt, dann ist es mir vielleicht möglich, etwas von dem Vergnügen zu vermitteln, welches mit einer Rasur einhergehen kann.

Anm: Das Gedicht „Vergnügungen“ schrieb Bert Brecht um 1954, im Alter von 56 Jahren.

Kategorie: Magazin

Andreas Gerads

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