Der Anzug zum Aufsprühen

Dieser Tage debütiert Penhaligon’s neuer Herrenduft Sartorial. Wie der Name schon sagt, soll dieses Eau de Toilette die duftgewordene klassische Eleganz eines echten Maßanzugs verkörpern. In der Damenwelt ist die Verknüpfung zwischen Haute Couture und Parfümerie schon seit längerer Zeit die Grundlage beider Geschäftszweige. Die meisten genuinen Nobelhäuser verdienen an ihren Parfümlizenzen mehr Geld als an der Mode, bzw. subventionieren regelrecht letztere durch erstere. Die Parfüms wiederum verkaufen sich als bezahlbare Manifestation mittelständischer Statusaspirationen nach einer fernen Traumwelt €50.000 Euro teurer Dior oder Chanel Einzelstücke.

Bekanntlich läuft die Vermarktung von Herrendüften generell immer noch über ganz anders gelagerte Maskulinitätsfantasien muskulös-animalischer Latin Lover-Männlichkeit oder des Abenteurer-Daseins. Viele Klassiker (siehe die Leuchtturmkolumnen) appellierten aber stets an das klassische Stilbewusstsein des Gentleman und eine kleine Subkultur von Parfüms pour homme nutzt hierbei gezielt die Metapher eleganter Bekleidung und bietet quasi den Anzug zum Aufsprühen an.

Wie aber übersetzt man sartoriale Exzellenz und Eleganz in Geruch? Zitiert man Haptik und Duft von Textilien oder der Orte ihrer Herstellung? Orientiert man sich traditionsbewusst an viktorianischen Essenzen? Oder überlässt man die Assoziationsketten dem Marketing und verkauft einen konventionellen, „sicheren“ Männerduft für konservative Konsumenten? Schauen wir uns vier Beispiele explizit sartorialer Düfte an.

Penhaligon’s Sartorial (2010)
Ein olfaktorisches Abbild des altehrwürdigen Schneiderateliers Norton & Sons auf der Savile Row sollte Parfümeur Bertrand Duchaufour kreieren, mit Noten, welche den Dampf des Bügeleisens, das Metall der Schneiderschere, das Bienenwachs zur Behandlung der Garne einfangen. Das Marketing auf Gegenseitigkeit der beiden britischen Institutionen (nicht, dass Penhaligon’s tatsächlich noch Teil des Empire wäre) ergibt Sinn und funktioniert gut. Der Duft, wiederum, ist wirklich gelungen – wie Octavian Coifan ausführlich beschrieben hat, handelt es sich allerdings nicht so sehr um das duftende Äquivalent eines Savile Row Bespoke Stückes, sondern vielmehr um solide Stangenware mit einem Touch Moderne und einer Extraportion Luxus. Sartorial ist im Kern ein klassisch-konventionelles aromatisches Fougère im Stil der 70er-Jahre (eine weitere modernisierte Variante jüngeren Datums ist Rive Gauche pour homme von Yves Saint Laurent). Diesem Klassiker auf der Basis von Lavendel, vanillig-heuigem Coumarin und herbem Eichenmoos wurden die für die 00er Jahre typischen metallisch-ozonischen Noten beigefügt, sowie eine schöne, sehr natürlich und teuer riechende Bienenwachskomponente, welche dem Duft Kohärenz und zumindest einen Anklang von Originalität verleiht. Der heute altmodisch wirkende hohe Moschus/Moos Pegel älterer Fougères wurde dagegen heruntergedreht. Hinter diesem Konzept mag der Gedanke stehen, dass Männer, die von edlen Anzügen träumen, prinzipiell eher konservativ eingestellt sind und die Vertrautheit des Duftes schätzen werden. Mannesduft prophezeit Sartorial auf jeden Fall gesunde Verkaufszahlen. Wer sich allerdings so exzessiv mit Parfüm beschäftigt wie Sartorialisten mit bespoke, oder gar in beiden Feldern wildert, trägt zum Norton & Sons Anzug womöglich doch lieber die Vintage Versionen (und nur die) von Czech & Speake No. 88 und Floris No. 89, oder lässt sich vom Bespoke Parfümeur seines Vertrauens die Urversion von Penhaligon’s Hammam Bouquet nachbauen. Trotzdem sollte man Sartorial testen, da es aus der Masse mediokrer bis abgründiger Neuerscheinungen qualitativ deutlich herausragt und aufgrund seines bodenständigen Kerns gleichzeitig vielseitig verwendbar ist.

Offizielle Duftpyramide:

  • Kopfnote: Veilchenblätter, Orangenblütenöl, Kardamom, schwarzer Pfeffer, Ingwer, ozonische und metallische Noten.
  • Herznote: Bienenwachs, Zyklame, Lindenblüte, Lavendel, Leder.
  • Basisnote: Patchouli, Myrrhe, Zedernholz, Tonkabohne, Eichenmoos, weißer Moschus, Honig, Holz, Vanille, Ambra

(aromatisches Fougère)

Pal Zileri Sartoriale (2005)
Dem italienischen Vorläufer von Sartorial war wenig Glück beschieden, 2005 als Begleitung zur gleichnamigen neuen Edeltextillinie des Stoff- und Bekleidungsherstellers lanciert, ist er inzwischen schon nicht mehr offiziell erhältlich. Zum Erfolg fehlte je nach Blickwinkel entweder die Originalität oder die notwendige Stärke der Marke im Beauty Bereich, um einen Standardduft marketingtechnisch gegen die Konkurrenz durchzusetzen. Neben dem Image der Marke und den Nadelstreifen des Kartons hat dieser Duft denn auch nichts spezifisch Sartoriales. Es handelt sich um einen gut gemachten und angenehm dezent duftenden Cocktail der seinerzeit (und teils heute noch) angesagten Noten: Grüne Zitruskopfnoten, weiches Holz mit süsslich-weihrauchartigen und floralen Akzenten, geprägt von den Trendmolekülen Iso-e-Super und Cashmeran (immerhin also die olfaktorische Haptik von kuscheliger Wolle). Sartoriale ist gewiss keine schlechte Wahl zu einem low-key Businessoutfit oder auch einem herbstlichen Kaschmir Sportsakko, aber insofern jeder zweite „Nischenduft“ in diesen Jahren ähnliche konstruiert war und auch gewisse Bezüge zu den Klassikern von Gucci (pour homme und Envy) deutlich sind, fehlt hier das Alleinstellungsmerkmal. Außerdem hat der Hersteller Mavive dem Duft einen zu kurzen Atem gegeben. Während der im Auftakt recht ähnliche eo02 von biehl parfümkunstwerke sich anhaltend komplex entwickelt, verabschiedet sich Sartoriale nach einer Stunde. Für das Produkt spricht aktuell, dass es günstige Bezugsquellen gibt – £ 9.99 Sterling ist der Duft allemal wert, zumal nicht ganz unähnliche Kreationen mit einem größeren Hypefaktor ein Vielfaches kosten. Ob dieser Discount-Ansatz allerdings Sartorialisten reizt, ist eine andere Frage.

Offizielle Duftpyramide:

  • Kopfnote: Grüner Apfel, Pampelmuse
  • Herznote: Sandelholz, Amber, Moschus, Eichenmoos, Vetiver
  • Basisnote: Veilchenblatt, Maiglöckchen, Rose

(holzig-aromatisch)

Creed Green Irish Tweed (1985)
GIT ist der Verkaufsschlager von Creed (erkennbar an den zahlreichen Fälschungen auf Ebay) und hat diese Marke Mitte der 80er Jahre als Kult etabliert. Entgegen der gerne von Creed verbreiteten PR handelt es sich um keinen klassischen Duft (so auch Creed kein klassisches Parfümhaus ist, vielmehr, Ironie des Schicksals, eine Dynastie von Schneidern) sondern eine Pioniertat in der Handschrift des großen Parfümeurs Pierre Bourdon. Wenig später würde er die Formel variieren, etwas verbilligen und damit den Leitduft der 90er Jahre erschaffen: Davidoff Cool Water, eine frisch-aquatische Variante des aromatischen Fougère. Damit wäre auch die Frage nach etwaigen sartorialen Zusammenhängen geklärt: Green trifft zu, Irish vielleicht im Sinne von „Irischer Frühling“, aber Tweed? Es handelt sich um einen frisch-grünen Duft, geprägt von dem zitrisch-floral-diffusen Dihydromyrcenol (Favorit in Weichspülern) und Ambroxan (Ersatz für natürliches Ambergris mit einer trocken-holzigen Süße), die ingeniös mit natürlichen Ölen vermählt sind. Bemerkenswert ist die Qualität der Veilchenblätternote. Der Gesamteindruck ist allerdings eher „Super 150s in schwarz vor Großbank“ als „liebevoll abgewetztes Jackett vor manor house“.

Offizielle Duftpyramide:

  • Kopfnote: Veilchenblatt
  • Herznote: Iris, Verbena
  • Basisnote: Ambra, Sandelholz

(frisches Fougère)

Geoffrey Beene Grey Flannel (1975)
Dieser Klassiker hat es in die Empfehlungsliste von Bernhard Roetzels Der Gentleman geschafft und gilt Luca Turin als wegweisender Duft der 70er Jahre auf halber Strecke zwischen Fougère Royale und Diors Fahrenheit. Man kann selbst eine kleine Flasche noch seinen Söhnen vererben, denn dieses Parfüm ist von fast obszöner Intensität und riecht regulär dosiert schnell wie das zeitgleiche Kunstveilchenöl von Pier 1 Imports, der Ladenkette, welche den (post)-hippie Ethnostil der 60er und 70er Jahre mitprägte. Heftige grüne Veilchennoten über einer holzig-coumarinischen Basis sind denn auch das Markenzeichen dieses Eau de Toilettes, mündend in klassischer seifiger Sauberkeit. Der Inbegriff eines Flanellanzugs? Mit etwas Fantasie. Passend zum Flanellanzug? Definitiv (am besten mit breitem 70er Jahre Revers).

Offizielle Duftpyramide:

  • Kopfnote: Galbanum, Zitrone, Petitgrain, Bergamotte, grüne Noten
  • Herznote: Veilchen, Rose, Muskatellersalbei, Farn, Geranium
  • Basisnote: Zedernholz, Tonka, Moos, Moschus

(aromatisches/holziges Fougère)

Diese kleine Revue lässt einige interessante Rückschlüsse auf die olfaktorische Inszenierung sartorialer Männlichkeit zu. Alle vier Düfte enthalten Veilchennoten und mit Ausnahme von Pal Zileri handelt es sich um Fougères (bei Sartoriale ist allerdings zu berücksichtigen, dass bereits der erste Duft der Linie von 2002 ein aromatisches Fougère war und eine Doppelung daher sicherlich bewusst vermieden wurde). Das Mittel der Wahl um einen Anzug tragenden Gentleman zu beduften ist also das klassisch maskuline Duftgenre schlechthin – tief in der Tradition verwurzelt, dabei aber aktuell inszeniert, in den zwei älteren Düften wegweisend, in den neueren eher vorsichtig. Veilchen wiederum repräsentieren grüne Frische und traditionelle Barbershop-Stilistik. Tatsächlich verkörpern diese Blümelein ein uraltes, selbst von Shakespeare besungenes, Duftideal:

To gild refined gold, to paint the lily,
To throw a perfume on the violet,
[…]Is wasteful and ridiculous excess.

(Shakespeare, King John, 1595)

Das Veilchen wurde schon in der Antike verehrt, im Islam wie im Christentum gepriesen, und symbolisiert Bescheidenheit und Aufopferung (durchaus auch Werte des Gentleman). Es erfreute sich seit dem 18. Jahrhundert einer intensiven Nutzung in der Parfümerie und repräsentierte gleichzeitig aufgrund der geringen Erträge aus den Blüten und Blättern puren Luxus. Im zwanzigsten Jahrhundert stand es zwar weniger häufig im Mittelpunkt von Parfüms, aber die frühe Synthetisierung der duftgebenden Ionone machten es zu einer Dauerpräsenz in modernen Duftformeln. Die typische grüne Frische (chemisch verwandt mit dem Geruch aufgeschnittener Gurken) macht Veilchen trotz der feminisierten Symbolik der Blume zu einem geschlechtsneutralen Duft, der sich in das Fougèrekonzept perfekt einfügt. Nicht zufällig finden sich deutliche Veilchennoten oft in dezidiert an Gentlemen adressierte Parfüms wie Kiton Black, Knize Two oder, nomen est omen, Trumper’s Ajaccio Violets.

Fazit: die Identifikation sartorialer Parfüms mit der klassischen Herrengarderobe funktioniert nur entfernt über Assoziationen mit Stoffen oder der Schneiderkunst. Sie geschieht vielmehr über den Rückgriff auf einen traditionellen Bezugsrahmen von „gentility,“ in dem klassische Bekleidungsformen schon immer mit bestimmten Duftkonventionen der Körper- und Gesichtspflege und temperierter Männlichkeit assoziiert waren: frisch-grüne Floralität (Zitrus, Veilchen, wenig Rose), herbe Moos- und Krautnoten (Lavendel, Eichenmoos), seifige Sauberkeit und heuige Süsse (Lavendel, Coumarin, Tonka) mit warmen Holzanteilen (Ambra, Sandelholz, Zeder). In diesem Rahmen sind Kreativität und Vielfalt durchaus möglich, wie unsere Beispiele zeigen, und in den besten Fällen verbindet sich in sartorialen Düften, wie in edler Kleidung, eine Ästhetik, die sich unreflektiert sinnlich genießen lässt mit handwerklichem Können und einem Bewusstsein lebendiger Tradition, dass auch eine intellektuelle Beschäftigung mit den Detailaspekten dieser Objekte zum Vergnügen macht.

Ob die hier vorgelegte These weiterer Überprüfung standhält, wird sich in einer kleinen Nachlese im neuen Jahr zeigen, die sich u.a. mit Black Tie und L’Eau du Tailleur beschäftigen wird.

Eine Abfüllung von Penhaligon’s Sartorial wurde uns für diese Kolumne freundlicherweise vom deutschen Vertrieb Albrecht & Dill Cosmetics GmbH, Hamburg, zur Verfügung gestellt.

Kategorie: Düfte

Dr. Tom Clark

Dr. Tom Clark ist der Duftexperte auf Stilmagazin.com. Seine weitreichenden Kenntnisse und großes Hintergrundwissen werden Sie faszinieren. Seine Kolumne "Mannesduft" hält einige Überraschungen für Sie bereit.

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