Das hellblaue Hemd

Kaum ein Kleidungsstück qualifiziert sich in derart hohem Maße als Ausgangspunkt der nachhaltigen und vielseitigen Garderobe wie das hellblaue Hemd. Natürlich könnte man eine Reihe über die persönliche capsule collection anders beginnen: Es gibt eine Menge ansehnlicher Farben für Herrenhemden. Es gäbe auch andere Kleidungsstücke, die als Basis unseres Vorhabens taugen könnten – doch nichts ist so unverzichtbar wie eben jenes hellblaue Hemd.

Warum nicht weiß? werden Sie jetzt sicherlich fragen. Im Gegenzug müsste ich fragen: Warum weiß? Abgesehen vom förmlichen Hemd zu Frack oder Dinner Jacket gibt es wohl kaum einen Anlaß, zu dem weiß dem für die allermeisten Hauttöne schmeichelhafteren und ganz allgemein kombinationsfreudigeren hellblau überlegen wäre – im Gegenteil: Weiß wirkt leider allzuoft zu hart, zu kontrastierend, zu unsympatisch. Also glauben Sie mir, Ihr erstes vernünftiges Hemd sollte hellblau sein. Und sollten Sie sich jemals für nur eine einzige Hemdenfarbe in Ihrem Kleiderschrank entscheiden müssen, so zögern Sie nicht lange und denken an meine Worte.

Da Sie vermutlich bereits mindestens ein Exemplar dieses Kombinationswunders im Kleiderschrank haben, dürfte die Herausforderung, die für Sie in schnitt- wie verarbeitungstechnischer Hinsicht befriedigende Form zu finden, bereits hinter Ihnen liegen. Falls nicht: Geben Sie sich nur mit dem besten zufrieden. In hohe Qualität zu investieren lohnt sich in jedem Fall, bei diesem Klassiker aber besonders. Ein hervorragender Stoff – vorzugsweise italienischer oder schweizer, in Ausnahmefällen englischer, Provenienz – wird garantiert länger den Quälereien Ihrer oder einer fremden Waschmaschine standhalten, als ein vermeintlich günstigerer. Konkret rate ich Ihnen zu einem feinen Twill oder Gabardine (leicht zu erkennen am subtilen Glanz und der charakteristischen Diagonalbindung), Oxford oder Chambray ist in vielen Fällen zu sportlich und daher weniger vielseitig. Exakten, kleinstichigen Nähten und sauberen Knopflöchern ist natürlich in jedem Fall der Vorzug zu geben.

Gerade was die Verarbeitungsdetails – Kragen, Manschette, Saumverstärkung, etc. – angeht, gibt es etwa so viele Varianten wie Vertreter mit Argumenten für diese. Erfahrungsgemäß nehmen sich diese ohnehin nur für den ambitionierten Dresser erkennbaren Unterschiede ab einem gewissen Fertigungsniveau untereinander nicht viel. Gerade Einsteiger in die Materie sind deshalb mit Hemden von bekannten und renommierten Herstellern wie T. M. Lewin, Hilditch & Key oder Charles Tyrwhitt aus England, sowie Barba oder Finamore aus Italien besser beraten als mit vermeintlichen Geheimtipps, deren qualitative Beurteilung meist ein erhebliches Maß an Erfahrung erfordern um nicht bloß auf eine geschickte Marketingmasche hereinzufallen.

Achten Sie in jedem Fall darauf, einen bequemen Schnitt und klassische Details zu wählen. Allzu verspielte Varianten rächen sich auf lange Sicht durch eingeschränkte Verwendbarkeit und einen zu hohen Wiedererkennungswert. Der Kragen sollte ebenfalls klassisch und nicht übertrieben modisch sein: Nehmen Sie Abstand von extremen Kragenspreizungen oder zu langen oder kurzen Kragenspitzen. Mit einem Kentkragen liegen Sie beispielsweise fast immer richtig. Im Zweifel würde ich aus Erfahrung zuerst ein Hemd mit Umschlagmanschette wählen, da Sportmanschetten – die nicht mit Manschettenknöpfen geschlossen werden – schnell zu wenig förmlich erscheinen können und Sie in Ihrer Freizeit ohnehin eher zum Sporthemd greifen werden, als zu Ihrem neuen Alleskönner.

Haben Sie die Hürde des Kaufs erst genommen, können Sie jetzt die volle Vielseitigkeit Ihres neuen Hemdes selbst testen. Sie werden feststellen, daß so gut wie jeder Anzug und jede Krawatte aus Ihrem Kleiderschrank damit harmonieren. Noch interessanter wird Ihr neues Hemd in Kombination mit einigen Stücken wirken, die ich in den folgenden Artikeln beschreiben werde, bleiben Sie also neugierig!

Natürlich würde ich mich freuen, in Kommentaren oder im Forum zu erfahren, ob ich Ihnen auf der Suche nach Ihrem neuen Lieblingshemd behilflich sein konnte. Ich freue mich auf Ihre Meinungen zum Thema.

Kategorie: Herrengarderobe

Florian S. Küblbeck

Florian S. Küblbeck ist freier Journalist und schreibt vor allem über Mode, Stil und Genuss. Mit seinem Erstwerk "Was Mann trägt: Gut angezogen in zwölf Schritten" gab er 2013 sein Debüt als Buchautor.

Kommentar schreiben