Brit-Look, Teil 2


Aus der Serie: Brit-Look

Bei der Landkleidung, dem Pendant zum „Smart Casual“, kreist alles um ein zentrales Teil, sozusagen die „Mutter aller Brit-Looks“: Das Tweedsakko. Mit ihm lassen sich Kombis für diverse Gelegenheiten zaubern, allerdings muss es sich um ein authentisches Modell handeln. Der Steckbrief enthält folgende Kurzbeschreibung: Drei Knöpfe, zwei Seitenschlitze und – ganz wichtig – Hornknöpfe. Der Stoff muss aus England, Schottland oder Irland stammen und sich hart und rau wie eine Teppichfliese anfühlen. Nicht „wanted“ sind Lederknöpfe (es sei denn, es handelt sich schöne antike Exemplare) und die bei Nicht-Kennern irrtümlich als äußerst englisch geltenden Lederflecken an den Ellenbogen. An einer neuen Jacke haben die genauso wenig etwas zu suchen wie ein Flicken auf einem intakten Fahrradschlauch. Sollte der Stoff tatsächlich fadenscheinig werden, bitte echtes Leder von Hand zuschneiden und aufnähen, die vorgefertigten Flecken zum Aufbügeln aus der Kurzwarenabteilung wären ein Mega-Fauxpas. Auch sehr britisch: Das Sakko im Hacking-Schnitt, sprich dem des Reitsakkos. Seine Merkmale sind die starke Taillierung, ein langer Mittelschlitz und schräge Pattentaschen. Hacking-Jacken werden nicht nur aus Tweed geschneidert sondern auch aus schweren Whipcords, Covertstoffen oder den für die Reiterei typischen Twills.

Woher der Tweed seinen Namen hat, ist unter Kennern umstritten. Fest steht, dass der robuste Streichgarnstoff aus unwirtlichen Regionen Schottlands stammt, wo sich die Schafe mit einem besonders widerstandsfähigem Wollkleid gegen das ungemütliche Wetter schützen müssen. Ursprünglich wurden die Wollfasern gleich vor Ort von Hand gesponnen und mit Naturfarben gefärbt, dann in Heimarbeit gewebt und an die lokale Bevölkerung verkauft. Im 19. Jahrhundert setzte dann aber eine große Schottland-Begeisterung ein und der Tweed wurde zum Exportschlager. Neben Schottland liefert auch Irland authentische Tweeds, z. B. den berühmten Donegal. Viel berühmter ist der Harris, doch es gibt noch viel mehr Sorten, z. B. Shetland, Homespun oder Keeper’s Tweed.

Die Bezeichnungen der einzelnen Qualitäten leiten sich entweder von der Schafrasse ab, der wir die Wolle zu verdanken haben, z. B. beim Cheviot, von der Provenienz des Stoffs, von Webmustern wie Fischgrat und im Fall der „district checks“ von den Ländereien, auf denen das Design erstmals getragen wurde. Auch Kenner haben größte Schwierigkeiten, die gut 100 in den Stoffmusterbüchern der Webereien dokumentierten Dessins auseinander zu halten. Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass Namen wie „Ardtalnaig“, „Ballindallogh“ oder „Kylnadrochit“ für Nicht-Schotten kaum aussprechbar sind. Das Stoffgewicht der Zungenbrecher liegt häufig bei 560 g oder mehr pro laufendem Meter, die etwas weichere Lambswoolware ist mit 380 g da schon fast ein Sommerstöffchen. Zum Vergleich: Der Super-100-Zwirn eines normalen Ganzjahresanzug fürs Büro bringt gerade mal 230 g auf die Waage. Mit modernen Leichtigkeitsansprüchen ist das nicht vereinbar, dafür halten diese Gewebe oft zwei bis drei Menschenleben lang bevor erste Abnutzungsspuren sichtbar werden.

Kategorie: Magazin, Brit Look

Bernhard Roetzel

Bernhard Roetzel schreibt über Herrenmode und verschiedene Stilfragen. Der Bildband "Der Gentleman. Handbuch der klassischen Herrenmode" ist seine bekannteste Publikation, sie liegt in fast 20 Übersetzungen vor.

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