Balanceakt: Sakkotaschen

Nicht nur der Hemdkragen, auch die Taschen des Sakkos bedürfen für den ausführenden Handwerker einer speziellen Ausrichtungslogik, die dem Laien oft nicht auffällt. Leider lassen sich längst nicht alle Zuschneider auf dieses subtile Spiel mit Millimetern ein, das für den Kenner die perfekte von der unhinnehmbaren Sakkotasche unterscheidet. Ein kleiner Blick auf die Details, an denen sich perfektes Handwerk ablesen lässt.

Die Brusttasche leuchtet vielen noch als Detail, das großer Aufmerksamkeit bedarf, ein — bestimmt auch deswegen, weil sie prakischerweise im direkten Sichtfeld des Betrachters liegt. Viele Schneider arbeiten ihren oberen Abschluss nicht gerade, sondern lassen ihn mehr oder weniger der natürlichen Brustrundung des Trägers folgen. So gestaltet hält die Tasche das darin befindliche Einstecktuch sicherer in Position und integriert sich zudem ansehnlicher in das sie umgebende Kleidungsstück. Noch besser sieht die Tasche aus, wenn auch die restlichen Kanten nicht einfach gerade sind, sondern in der Nähe befindlichen Nähten oder Kanten folgen. Die Außenkante der Brustleiste kann so beispielsweise leicht konvex und schräg sein, um den Verlauf des Armloches wiederzugeben.

Die Taschen auf Hüfthöhe des Sakkos schließen zwar —mit Ausnahme vielleicht von aufgesetzten Taschen— gerade ab, stehen aber keineswegs tatsächlich waagerecht. Vielmehr orientieren viele Schneider sie so, dass sie parallel zum unteren Saum des Sakkos und damit nach außen hin leicht ansteigend verlaufen. Sofern die Taschen über sogenannte Patten, also klappen über dem Eingriff, verfügen, bietet es sich an, deren Ecken unterschiedlich zu gestalten: Die vordere Ecke kann den Schwung der Sakkoschöße aufnehmen während die hintere den Verlauf der Seitennaht oder der Rückenschlitze spiegelt.

Die vielfältigsten Möglichkeiten zur „Entsymmetrisierung“ bieten sich bei aufgesetzten Taschen. Diese können an jeder ihrer Kanten die jeweils nächstliegende Naht oder Kurve aufnehmen und sind dementsprechend das liebste Spielfeld eines ambitionierten Zuschneiders.

Zum Schluss noch ein Wort der Warnung: Nicht jede Kurve, die technisch ausführbar ist, sieht in der Praxis auch überzeugend und ästhetisch ansprechend aus. Der Weg sollte also nicht über ein Maximum an Verformung, sondern über beste Integration ins Kleidungsstück führen.

Kategorie: Magazin, Anatomie des Sakkos

Florian S. Küblbeck

Florian S. Küblbeck ist freier Journalist und schreibt vor allem über Mode, Stil und Genuss. Mit seinem Erstwerk "Was Mann trägt: Gut angezogen in zwölf Schritten" gab er 2013 sein Debüt als Buchautor.

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