Anatomie des Sakkos: Das Revers.

Eine Warnung, bevor Sie weiter lesen: Der Titel, den Sie hierüber sehen, sagt nicht die Wahrheit über das nun Folgende — zumindest nicht die ganze. Der Grund ist einfach: Das Revers eines Sportsakkos oder einer Anzugjacke kann nicht für sich allein behandelt werden. Denn neben dem Kragen, der schon deshalb in einem Atemzug mit dem Revers genannt werden muss, weil er direkt darüber liegt, ist auch die Konfiguration des Sakkos —einreihig oder zweireihig, mit einem, zwei oder drei Schließknöpfen— ausschlaggebend für die Form des Revers.

Aufbau von Revers und Kragen
Die Konstruktionsweise aller Revers ist mehr oder weniger ähnlich: Auf die spätere Reversrückseite werden eine oder mehrere Schichten Einlage aus Rosshaar, Steifleinen oder ähnlichem formgebendem Material aufgebracht und im besten Fall mit Hilfe vieler kleiner Handstiche dort fixiert. Die Reversoberseite ist in der Regel Teil des vorderen Innenteils und wird an der Sakkofront und dem Revers befestigt, nachdem alle Einlagen vernäht —bei industrieller Verarbeitung oftmals nur verklebt— wurden. Auch der Kragen besteht aus drei Schichten: Zuunterst befindet sich eine Lage Oberstoff oder Filz, zuoberst meist ebenfalls der Stoff, aus dem das restliche Sakko besteht. Dazwischen befinden sich wiederum verschiedene Einlagematerialien, die bei vielen Schneidern ebenfalls von Hand vernäht werden. Revers und Kragen werden entlang der sogenannten Kassurnaht miteinander Verbunden.

Übliche Reversformen
Generell unterscheidet man drei Reversformen: die steigende, die fallende und die Schalfaçon. Die steigende oder Spitzform läuft zum Kragen hin in eine Spitze aus, zwischen Kragen und Revers bleibt kein oder nur wenig Freiraum. Diese Form ist für doppelreihige Anzüge mit Ausnahme des Smokings obligatorisch. Darüber hinaus eignet sie sich für besonders förmliche einreihige Anzüge und ist die übliche Reversoption für die formelle Tagesgarderobe wie Morning Coat oder Stresemann. Auch der Frack wird heute fast ausschließlich mit steigendem Revers angeboten, wenngleich dies in der Geschichte nicht immer so war. An Sportsakkos stellt sie eigentlich einen Widerspruch dar, will doch ihr offizieller Eindruck nicht so recht zum lässigen Eindruck einer Kombination passen. Hier ist man am besten mir einem fallenden Revers beraten. Diese am häufigsten anzutreffende Variante verfügt über die charakteristische dreieckige Stoffaussparung zwischen Kragen- und Reverskante. Sie eignet sich auch für den klassischen einreihigen Geschäftsanzug. Das Schalrevers besteht stenggenommen nicht direkt aus Kragen und Revers. Hier geht der Kragen in einer geschwungenen Linie ins Revers über. Diese Form ist eigentlich nur bei Rauchjacken, Hausmänteln und informelleren Dinner Jackets —Liebhaber schätzen sie besonders am Doppelreiher— anzutreffen. Am Frack findet man diese Form eigentlich kaum noch, obwohl Abbildungen aus vergangenen Jahrzehnten hin und wieder ein solches, zugegebenermaßen etwas exzentrisches Modell zeigen.

Harmonischer Abschluss: Knopfzahl und Reversdimension
Bei der Auswahl des Revers gilt es zudem, die Anzahl der Schließknöpfe zu beachten, denn nicht jede Reversform passt zu jedem Knöpfpunkt. Als Faustegel gilt: Je breiter das Revers ist, desto länger sollte dessen Form sein und folglich desto weniger Schließknöpfe sollte die Jacke haben. Ein fallendes Revers passt gleichermaßen zu ein-, zwei- und dreiknöpfigen Fronten, während ein steigendes sich mit einem Dreiknopfanzug weniger gut verträgt. Da der Schalkragen quasi dem Smoking vorbehalten ist, fällt die Wahl hier leichter. Dieser wird als Einreiher meist auf einen, als Zweireiher höchstens auf zwei Knöpfe geschlossen und sorgt so schon durch Konvention für eine elegante, lang gezogene Reverslinie. Die Reversbreite hängt stark vom Geschmack des Trägers oder, falls man sich an die Konfektion hält, von modischen Erwägungen ab. Extreme sollte man hier allerdings vermeiden, weder ein ultraschmales noch ein ausladend weites Revers sieht an den meisten Trägern vorteilhaft genug aus, um nicht früher oder später ein trauriges Dasein in der hintersten Ecke des Kleiderschrankes zu fristen.

Übrigens: Um ein vernähtes von einem verklebten Revers zu unterscheiden kann der gleiche Test wie bei der Überprüfung der Sakkofront angewandt werden: Reiben sie den Oberstoff zwischen den Fingern. Fühlen sie zwischen den Stofflagen eine glatte Schicht, die sich nicht lösen lässt? Ein klares Indiz für industrielle Fixierung. Die Investition in ein Sakko mit vernähten Einlagen und Revers lohnt sich jedoch auf jeden Fall — Formstabilität und Rolleigenschaften sind unvergleichlich. Machen Sie den Grifftest!

Kategorie: Magazin, Anatomie des Sakkos

Florian S. Küblbeck

Florian S. Küblbeck ist freier Journalist und schreibt vor allem über Mode, Stil und Genuss. Mit seinem Erstwerk "Was Mann trägt: Gut angezogen in zwölf Schritten" gab er 2013 sein Debüt als Buchautor.

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